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Die Verraeterin

Die Verraeterin

Titel: Die Verraeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. T. Geissinger
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ließ den schwarz gekleideten Kellner alles auf dem langen, schimmernden Holztisch auf dem Balkon servieren, neben einem Rankgerüst, an dem leuchtend rote Bougainvillea hochkletterten.
    Als der Mann aufgedeckt hatte und mit einer Verbeugung wieder verschwunden war, betrachtete sie die weißen Leinenservietten, die silbernen Deckel, mit denen die verschiedenen Gerichte bedeckt waren, sowie die Gläser mit frisch gepresstem Orangensaft. Es war noch dunkel, und in der Luft hing ein kühler Duft von Tau, der sich jedoch bereits mit einem Hauch von Lavendel am östlichen Horizont vermischte. Sie wusste, dass bald die Sonne aufgehen würde.
    Ein weiterer Tag. Ihr dritter Tag in Rom. Es blieben ihr nur noch elf, und dann würde sich ihr Schicksal entscheiden. Sie biss sich auf die Unterlippe. Und dieser Killer, für den du gerade Frühstück bestellt hast , dachte sie in einem Anfall von Nervosität, wird es sein, der dein Schicksal besiegelt. Du Idiotin!
    »Ach, was soll’s, ich muss trotzdem essen«, murmelte sie und ging steifen Schrittes zur geschlossenen Tür des Schlafzimmers. Nachdem sie daran geklopft hatte, wartete sie eine Weile. Es kam keine Reaktion. Auch auf ihr Rufen antwortete er nicht, weshalb sie die Tür öffnete und den Kopf ins Zimmer steckte.
    »Xander«, sagte sie in den Raum hinein, der voll feuchtem Dampf war. »Ich habe Frühstück bestellt.«
    Keine Antwort. Sie stellte sich vor, wie er stumm auf den Fliesen der Dusche verblutete. Seltsamerweise verkrampfte sich ihr Herz in ihrer Brust.
    »Xander«, wiederholte sie, diesmal etwas lauter. Sie trat über die Schwelle und lief in die Mitte des Zimmers. »Alles in Ordnung? Wo sind …«
    Sie hielt abrupt inne, als sie ihn erblickte. Er stand mit dem Rücken zu ihr, den Kopf gesenkt, die Hände auf dem Marmorwaschbecken vor dem großen, beschlagenen Spiegel abgestützt. Von der Taille aufwärts war er nackt. Seine bronzefarbene Haut war tropfnass, während seine Haare eine dunkle, feuchte Kappe auf seinem Kopf formten. Er hatte ein weißes Handtuch um die Hüften geschlungen. Wie sie bereits vermutet hatte, bot seine Gestalt einen atemberaubenden Anblick, so muskulös und perfekt geformt, dass selbst ein Bodybuilder neidisch geworden wäre.
    Aber sein Rücken, oh, sein Rücken.
    Sie hatte noch nie solche Narben gesehen. Lange Striemen, die sich in einem weißen Gittermuster über seine Schultern, den oberen Rückenbereich und das Rückgrat ausgebreitet hatten. Allein die Vorstellung, was diese Verletzungen hervorgerufen hatte, verschlug ihr den Atem und ließ ihre Knie weich werden.
    Langsam hob er den Kopf und sah sie durch den Spiegel an. Wieder zeigte sich in seinem Gesicht dieser tote Ausdruck, die Abwesenheit jeglichen Gefühls, der sie beim ersten Mal, als sie ihn gesehen hatte, so erschreckt hatte. Er richtete sich auf – langsam, als ob es ihm Schmerzen bereiten würde –, und erst jetzt sah sie seine Brust, die sich im beschlagenen Spiegel zeigte.
    Wenn bereits sein Rücken schrecklich aussah, so war seine Brust noch fürchterlicher anzusehen. Auf beiden Seiten seines Brustbeins waren mehrere gerade Linien zu erkennen. Schwarze Markierungen auf der rechten Seite, die in Gruppen von vier Strichen mit einem fünften Strich durch die Mitte verliefen, fanden ihr Gegengewicht mit roten Markierungen auf der Gegenseite links über seinem Herzen. Es gab Dutzende solcher Strichgruppen – Reihe über Reihe von schrecklichen Zeichen. Es waren die seltsamsten Tätowierungen, die sie sich vorstellen konnte.
    »Ich zähle mit«, sagte er leise in Richtung des Spiegels. Morgan zuckte zusammen.
    Ein schreckliches Bild stieg vor ihrem inneren Auge auf, das sich wie die Berührung von eisigen Fingern in ihr ausbreitete. Entsetzt schüttelte sie den Kopf.
    Er drehte sich zu ihr um, wobei er sich betont viel Zeit ließ. Noch immer spiegelte sich in seinem Gesicht keine Regung wider, und seine Arme hingen locker herab. Er versuchte nicht, sich vor ihr zu verbergen und auch nicht, dem Entsetzen in ihrem Blick auszuweichen. Vielmehr schien er ihren Ekel geradezu herauszufordern. Als ob er nichts anderes wollte.
    »Rot für Ikati, schwarz für Menschen«, sagte er tonlos.
    Jetzt wusste sie es endgültig.
    »Morde«, flüsterte sie und verstand schlagartig und ganz und gar, wer er war. Jetzt konnte sie nichts mehr beschönigen. Ihr Blick wanderte über seine muskulöse Brust, und sie versuchte, sich nicht all die Leben vorzustellen, die durch den Killer vor ihr

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