Die Verraeterin
darauf zu achten, ob ihn irgendwelche Fußgänger bei seiner Aktion beobachteten. Er erreichte die Spitze, machte es sich zwischen zwei riesigen Ästen bequem und sah zum Himmel hinauf. Sein Blick wurde von nichts außer einem kleinen Zweig mit Kiefernnadeln verstellt, den er ungeduldig beiseitebog.
Er blickte auf das Meer von Dächern, Baumwipfeln und Kirchtürmen hinaus. In der Mitte dieser Ansammlung war ein riesiges Gebäude zu sehen. Es besaß die Form eines Kruzifixes und wurde von der größten Kuppel der Welt gekrönt. Dieser Bau dominierte die Skyline, wie er so gewaltig und leuchtend in der Morgensonne funkelte.
Xander beobachtete voller Neugier, wie die kleine graue Nebelwolke über die Stadt flog und dann auf das große Gebäude zuschwebte, wo sie im Dach der Kuppel verschwand.
» Meu deus «, keuchte Xander, den nun blankes Entsetzen ergriff.
Das war sogar noch schlimmer, als er befürchtet hatte.
12
Morgan erwachte in warmer Dunkelheit, da sie Xanders Stimme irgendwo leise und angespannt reden hörte. Er hielt immer wieder inne und schien zu lauschen, ehe er fortfuhr.
»Ja, ich bin mir sicher. Ich weiß. Das habe ich gemacht, aber er ist verschwunden. Ich werde es in einigen Stunden wieder versuchen. Ich habe es die ganze Nacht über versucht. Ja, sie … Nein. Nein. Leander, das ist nicht …«
Er atmete lang und hörbar genervt aus, ehe er in Schweigen verfiel.
Morgan setzte sich auf der Couch auf und sah sich blinzelnd im dunklen Wohnzimmer um. Sie spürte, dass es noch eine Weile dauern würde, bis die Sonne aufging. Die Vögel in den Bäumen vor den Fenstern hatten noch nicht zu singen begonnen, und die Stadt war noch in einer schläfrigen Stille versunken. Es musste noch sehr früh am Morgen sein. Sie streckte sich und zuckte zusammen, weil ihr Nacken steif geworden war. Dann erhob sie sich von der Couch und schob dabei die elfenbeinfarbene Kaschmirdecke beiseite.
Es war eine der längsten Nächte ihres Lebens gewesen.
Das unruhige Auf- und Ablaufen hatte nichts geholfen. Auch ihre Panikattacken hatten nichts geholfen. Vier Gläser Whiskey hatten nichts geholfen. Nur der Schlaf hatte sich als eine Fluchtmöglichkeit aus dem Zustand der Anspannung erwiesen, in dem sie sich befunden hatte, seitdem sie ins Hotel zurückgekehrt war. Der Schlaf hatte ihr zumindest für einige Zeit eine gewisse Ruhe ermöglicht. Jetzt jedoch war sie wieder hellwach, und die Angst und Sorge breiteten sich noch heftiger als zuvor in ihr aus.
Was war geschehen? War es Xander gelungen, den Alpha zu erwischen? Hatte er irgendetwas entdeckt? Gab es noch weitere Ikati, von denen niemand wusste und die durch die Straßen von Rom streiften? Warum war Xander die ganze Nacht verschwunden gewesen? Wieso konnte er durch Mauern gehen?
War er verletzt?
Seine Stimme war aus dem Schlafzimmer gekommen. Morgan warf einen Blick auf die geschlossene Tür und fragte sich, ob sie dort klopfen oder einfach darauf warten sollte, bis er von selbst herauskam. Das Geräusch von laufendem Wasser brachte die Entscheidung. Xander nahm offensichtlich eine Dusche.
Mit einem tiefen Seufzer rieb sie sich die Augen und ging in die Küche, um dort nach etwas Essbarem zu suchen. Am Tag zuvor hatte sie nur gefrühstückt, und ihr Magen verkrampfte sich jetzt vor Hungergefühl.
Außer dem großen Wohnzimmer, dem Schlafzimmer, einer Art von Aufenthaltsraum und dem riesigen Balkon, der über die Dächer von Rom blickte, gab es in der Nijinski-Suite eine voll funktionierende Küche, eine Bar und ein Esszimmer für zehn Personen. Morgan sah sich in der Küche aus Marmor und Chrom um. Es wäre ihr nicht schwergefallen, für den Rest ihres Lebens hier zu wohnen. Als sie jedoch die Tür des Kühlschranks öffnete, fand sie dort nichts als kalte Luft.
Sie schürzte die Lippen und überlegte. Sollte sie auf Xander warten, bis dieser zu Ende geduscht hatte, dann an seine Schlafzimmertür klopfen und sich mit der neuen Situation auseinandersetzen – oder sollte sie einfach den Zimmerservice bestellen?
Sie dachte über die Situation nach, über ihre Mission, die rasch verstreichenden Tage und was passieren würde, wenn sie nichts herausfand. Sie beschloss, den Zimmerservice zu rufen. Mit dem realen Leben wollte sie für den Moment nichts zu tun haben.
Sie fand die Speisekarte auf dem Schreibtisch im Wohnzimmer und bestellte so viel, dass es mindestens für fünf Leute gereicht hätte. Das Essen traf weniger als fünfzehn Minuten später ein, und sie
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