Die Verraeterin
stets alles wahrnahm, egal ob er schlief, wach oder sturzbetrunken war – wusste das und begann, die Einzelheiten des Traums festzuhalten, damit er sich später daran erinnerte, wenn er wach wurde. Viele seiner Träume bedeuteten nichts. Viele andere enthielten vage Hinweise, die er wie Puzzleteile über Tage oder Wochen hinweg zusammensetzen musste, um das ganze Bild der Zukunft zu erkennen, das seine Träume für ihn entwarfen.
Einige wenige Träume jedoch – und das traf auf den zu, den er gerade hatte – waren glasklar und zeigten ihm ein Bild der Zukunft, das so anschaulich und eindringlich war wie ein Gemälde von van Gogh.
Er hatte die Gabe der Vorhersehung seit seiner Geburt – lange bevor er fähig war, sich in Nebel oder in einen Panther zu verwandeln, lange bevor er verstand, was seine Träume tatsächlich waren. Obgleich es eine unglaublich starke Begabung war – eine Begabung, die er ebenso wie seine Intelligenz herunterspielte, während er seine Skrupellosigkeit maximierte, da er glaubte, dass es ihm sowohl bei Freunden als auch Feinden zum Vorteil gereichte, unterschätzt und missverstanden zu werden –, hasste er die Träume mit jeder Faser seines Wesens.
Es war nämlich ganz und gar nicht leicht zu ertragen zu wissen, wie und wann jemand, den man liebte, den Tod finden würde.
Auch jetzt starb jemand in seinem Traum, aber es war niemand, den D liebte. Es war der fremde Mann mit den leuchtend orangefarbenen Tigeraugen, auf den Celian auf dem Petersplatz geschossen hatte. Es war der Mann, der die Bellatorum mit seiner Furchtlosigkeit und Tollkühnheit so beeindruckt hatte, der sie mit lässigen Gesten, gespielter Langeweile und einem spöttischen Lächeln hatte auf die Palme bringen wollen.
Der Mann, der durch Wände gehen konnte. Dessen Körper Kugeln durchließ, als ob er nur aus Wasser bestünde.
In Ds Traum steckte ein Messer im Rücken des Mannes, bis zum Anschlag zwischen dessen Schulterblätter getrieben. Aus der Wunde quoll sehr viel Blut und tropfte auf den schwarzen Steinboden. Es lief außerdem dunkelrot über die Faust, die den Griff des Messers hielt und die die Klinge immer wieder drehte, bis der Mann mit einem lauten Schrei auf die Knie ging.
Es war Dominus, der das Messer in den Rücken des Mannes gerammt hatte. Es war Dominus, der es drehte. Dominus, der sich grinsend über den Mann beugte, als dieser seitlich auf dem Boden zusammenbrach und dort stumm und regungslos liegen blieb, während sein Leben rasch aus ihm herausrann und sich in Pfützen unter ihm ausbreitete, die rot im trüben Licht von Kerzen schimmerten.
Auch die schöne Vollblut-Ikati war da. Man hatte sie nackt an die Fovea -Wand gekettet, an der Celian um Mitternacht beinahe zu Tode gepeitscht worden war, nachdem Lucien und Aurelio sich nicht mehr gezeigt hatten. Sie versuchte, die Stahlfesseln, mit denen ihre Handgelenke über ihrem Kopf befestigt waren, aus den Verankerungen zu reißen, während sie etwas schrie, das er nicht verstand. Sie brüllte mit einer solchen Kraft und solcher Angst in der Stimme, dass eine beinahe explosive Spannung in dem Raum entstand. Dominus wurde dadurch mehrere Meter zur Seite gestoßen und verlor das Gleichgewicht.
Nichts davon überraschte Ds Traum-Ego. Dominus war immer der Gewinner. Das war in seinem Leben nie anders gewesen. Es war klar, dass der Mann sterben musste, wenn er die Frau zu der Seinen machen wollte. Wer auch immer dieser Kerl war – er war gefährlich und mächtig und würde die Frau nicht ohne Kampf gehen lassen. Offensichtlich besaß auch sie große Kräfte. Man musste nur in ihrer Nähe sein, um diese einzigartige, surrende Spannung zu spüren, die nur die vollblütigen Mitglieder ihrer Spezies ausstrahlten.
Was D allerdings überraschte, war ein kalt lächelnder Constantine, der auf einmal hinter Dominus auftauchte, eine Waffe an dessen Kopf hielt und abdrückte.
»D! D! D! Demetrius! Wach auf!«
Die Stimme von Lix drang durch seinen Traum so plötzlich und scharf in sein Bewusstsein, als ob ihm ein Messer in die Haut gestoßen würde. Er setzte sich abrupt im Bett auf und sah sich panisch um. Es war vollkommen dunkel, und überdeutlich spürte er, wie sein Herz in der Brust hämmerte. Alles war noch genauso wie zuvor, als er eingeschlafen war – die sechs Metallbetten, die Holzspinde, die am Fußende jedes Bettes standen, die nackten Wände, der spartanisch eingerichtete, fast leere Raum. Wie lange hatte er wohl geschlafen?
Die Katakomben, in
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