Die verratene Nacht
aufzuwachen, der sich so stark und verlässlich anfühlte.
Theo hatte sie später wieder gefunden, nicht lang nach ihrem Gespräch mit Sam. Kurz vor dem Mittagessen. Selena war immer noch wütend; wütend auf Sam, weil er so stur war, weil er so blind war angesichts seiner neuen Flamme, weil er nicht bereit war, über die Folgen davon zu sprechen, und, wenn sie ehrlich sein sollte, auf Theo, weil der sie gestern Nacht aufgehalten hatte, weil er ihr eine Entschuldigung geliefert hatte, drinnen zu bleiben. Und am allerwütendsten war sie auf sich selbst, weil sie so schwach geworden war. Weil sie dem Vergnügen des Augenblicks nachgegeben hatte, angesichts ihrer Verantwortung, weil es so schlicht viel einfacher war.
Als Theo also auf sie zukam, sie ansprach unter dem Vorwand ihr zu sagen, das Mittagessen wäre fertig, war sie nicht allerbester Laune. Aber er sagte da gar nichts; er zog sie nur in dem Vorratsraum da in die Arme und hielt sie fest.
Und die plötzliche Welle aus Wärme und Trost brach über ihr zusammen. Wenn sie in seinen Armen war, fühlte sie sich gut. Zuhause. Sicher. Als hätte sie nichts zu befürchten.
„Ich will nur, dass du in Sicherheit bist“, sagte er und erriet damit ihre Gedanken. „Selena. Ich verstehe das alles nicht. Ich versuche es, aber ich muss ehrlich zu dir sein – es fällt mir sehr schwer zu begreifen, warum du dich solchen Gefahren aussetzt.“
„Das ist nichts besonders Großartiges, was ich nachts da draußen tue“, sagte sie da plötzlich, mit ihrem Gesicht in seiner männlichen Schulter vergraben. Oh Gott, da wären wir also. Es würde jetzt alles rauskommen. „Es ist nicht ein riesiges Geheimnis oder so was. Ich erzähle es den Leuten nur nicht. Ich will nicht, dass sie davon erfahren – weil sie es missverstehen könnten. Sie haben es missverstanden. Und es ist – nun, es ist hart.“
„Ich weiß“, sagte Theo sanft. „Vonnie erzählte mir ein bisschen von Niketown. Und Crossroads.“
Selena nickte. Sie war nicht überrascht. „Vonnie weiß mehr als jeder andere und sie bemüht sich – aber auch sie versteht es nicht wirklich. Niemand versteht es. Sie können nicht sehen, was ich sehe, und es begreifen, hier.“ Sie löste sich und berührte ihr Herz, so dass er die Geste sehen konnte. „Wenn ich ihnen sterben helfe, wenn ich die Zombies berühre und meinen Kristall berühre, fühle ich mich, als ob–nein, ich weiß –dass ich sie rette. Sie waren einmal Menschen, wie du und ich. Und wenn ich sie berühre, irgendwie weiß ich da, dass sie wieder frei sind. Sie können in Frieden sterben.“
„Sie waren mal Menschen, vor langer Zeit. Aber jetzt nicht mehr“, sagte Theo. Seine Stimme war leise, aber sicher. „Ich weiß, dass du nicht sehen möchtest, wie irgendetwas oder irgendjemand leidet oder gequält wird, und dass du allen Wesen nur barmherzige Tode wünschst. Ich kann diesen Standpunkt nicht verstehen, weil ich genug von dem Schaden gesehen habe, den sie anrichten. Ich habe die Körper gesehen, die Haut und die Knochen und was danach noch übrig ist. Für mich ist da nichts Lebenswertes an einem Zombie oder etwas, was man verzeihen könnte. Aber“, sagte er fest entschlossen, als sie ihren Mund aufmachte, um etwas zu erwidern, „ich respektiere dich und das, woran du glaubst. Und daher möchte ich dir helfen. Weil ich nicht glauben kann, dass du dein Leben einfach so und auf diese Weise riskieren würdest, wieder und immer wieder.“
„Ich will es nicht, aber ich muss es.“ Tränen sammelten sich seitlich in ihren Augen und Selena klammerte ihre Finger tiefer in seine Schultern. „Ich vermag nicht, ihnen nicht zu helfen. Selbst wenn ich nicht jeden einzelnen von ihnen retten kann, liegt es in meiner Verantwortung, so vielen von ihnen zu helfen wie nur möglich. Rede mir nicht mehr davon warum ! Ich frage mich jeden Tag, warum ich diejenige sein muss. Warum wurde ich mit dem verdammten Kristall gefunden? Warum ich? “
„Frag dich“, sagte Theo und reichte dabei hoch, um ihre Hand zu berühren, „was passieren würde, wenn du es nicht tätest. Wenn du drinnen bleiben würdest, in Sicherheit, und deinem Sohn eine Mutter sein würdest, Vonnie eine Tochter und ein rettender Engel für all jene, die zu der Todeslady kommen, damit sie ihnen hilft, in Frieden und Würde zu sterben. Wäre das denn so schlecht?“
Sie schüttelte den Kopf, auch dann noch, als sich ganz langsam eine winzige Blume der Verwunderung in ihr drin öffnete. Hatte
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