Die verratene Nacht
sich mit dem Handrücken unten an der Nase entlang. Sie hatte überall im Gesicht rote Flecken und ihre Augen waren blutunterlaufen. Jetzt in diesem Moment sah sie nicht schön aus, mit ihrem verwüsteten Gesicht und der roten Nase, aber sie war Selena. Sie war die Seine. „Und diese Monster ... sie haben ihn erwischt. Sie haben ihm das angetan. Auch dann noch als ich versucht habe sie zu retten, haben sie das getan ... sie haben ihn zerfetzt, in Stücke gerissen. Er wird sterben. Ich hasse sie.“
Theo zog sie wieder näher zu sich, gerade als das Rad mit einer sanften Bremsung genau richtig unten ankam. Gott, was sage ich da? „Ich weiß, dass du sie hasst, Selena. Es tut mir so Leid.“
„Wenn du nicht dort hingekommen wärst, wenn du sie nicht getötet hättest...“ Ihre Stimme wurde leiser und sie vergrub das Gesicht an seiner Schulter, was ihre Stimme zusätzlich dämpfte. „Ich bin so durcheinander. So voller Wut. Ich begreife nicht, warum das geschehen musste. Warum, nach allem, was ich getan habe, um zu versuchen sie zu retten? Warum? Warum musste so etwas mir passieren?“
Tränen brannten ihm in den Augenwinkeln. Die Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit in ihrer Stimme gruben sich tief in ihn ein, bohrten sich in seinen Magen und machten ihn restlos verzagt. Er hatte keine Antwort darauf, aber er fragte sich, ob es ein Zeichen war, dass sie einen anderen Weg einschlagen musste.
~*~
„Elliott ist nicht dort“, war das Erste, was Lou sagte, als Theo in die Arkaden zurückkehrte. „Er und Jade sind losgeritten, unterwegs auf einer Mission, und außerdem bekommt eine Frau da gerade ein Baby.“
Theo spürte wie ein Wutschauer ihn überkam. „Wenn sie an einem Ort sind, wo es eine Zugangsstelle gibt, können sie sich einloggen–“
„Schon erledigt. Sage ist dran und wird mit ihnen Kontakt aufnehmen. Sie tut, was sie kann. Wie lange, denkst du, haben wir noch?“
Theo beruhigte sich. „Ich weiß es nicht. Selena sagt, dass er sterben wird. Die Dinge sehen gar nicht gut aus, es sei denn wir kriegen Elliott hierher, um ihn zu heilen.“ Er setzte sich auf eines der Sofas und fuhr sich mit der Hand über die Haare. Sein Gehirn hatte nicht mehr aufgehört zu arbeiten; quasi seit jenem kurzen Schlummer nicht, nachdem er zuvor die ganze Nacht des vorherigen Tages mit Selena im Liebesspiel verbracht hatte, und er war restlos ausgelaugt.
„Ist sie es?“, fragte Lou, der sich jetzt auf dem Stuhl umdrehte, um seinen Bruder anzuschauen.
„Ja.“
„Dann tut es mir umso mehr Leid, was passiert ist.“ Lous gealtertes Gesicht sah noch mitgenommener und verhärmter aus, als Theo es in seiner Erinnerung je gesehen hatte. Oder vielleicht lag es auch nur daran, dass sie lange getrennt gewesen waren. Oder es lag vielleicht daran, dass er, seit er wieder zum Leben erweckt worden war, die Dinge klarer sah. Dass er jetzt die Wirklichkeit sah, anstatt das zu sehen, was er gerne sehen wollte. „Erzähl mir von ihr.“
Theo lehnte sich auf dem Sofa weit zurück, starrte hoch zu der von Rissen und Spinnweben überzogenen Decke und redete. Er erzählte Lou alles darüber: über das wieder zum Leben erweckt werden, über Selenas Zombie-Jäger-Sache, über all das. Es gab keine Geheimnisse zwischen ihnen. Es hatte noch nie welche gegeben.
„Ich nehme mal an, dass du dir auch diesen Arbeitstisch hier zunutze gemacht hast“, merkte Lou trocken an und zeigte zum Tisch, wo Selenas hinreißender Hintern vor gerade mal zwei Tagen platziert gewesen war. „So wie ich dich kenne.“
Ein Lächeln erschien da auf Theos Gesicht. „Ach, du willst doch nur über mich dein erlebnisarmes Leben etwas würzen, oder etwa nicht?“
Ein langes Schweigen breitete sich da aus. Und dann ein leises, „Ja.“
Theos Augen, die gerade wieder zuklappen wollten, flogen wieder auf. Etwas im Ton seines Bruders... Er setzte sich auf und schaute Lou an, sah den leicht verschwommenen Blick. Sein Herz gab da ein schreckliches Bumm-kadabumm von sich. „Das war nur ein Witz“, sagte er schnell, aber er wusste, es war zu spät. Der Schaden – so unschuldig es alles auch von seiner Seite aus (und von Lous aus) gemeint gewesen war – war angerichtet.
„Ich weiß“, erwiderte sein Bruder. „Aber ich war ein verdammter Idiot, als ich versucht habe du zu sein. Dafür, dass ich Envy verlassen habe und so getan habe, als wäre ich Scheiße nochmal Indiana Jones oder so was, auf der Suche nach dir. Auf ein Abenteuer aus. Schau, was
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