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Die verratene Nacht

Die verratene Nacht

Titel: Die verratene Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen Gleason , Joss Ware
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neben ihm, berührte ihren Sohn, sah, wie sein Mund sich bewegte und seine Augen sich langsam öffneten. Auf sie fielen. Das Herz sprang ihr in der Brust, ihre klammen Finger schlossen sich um seine blutigen und sie presste die Lippen zusammen.
    Und dann sah sie die glitzernde graue Wolke durch das Mondlicht schweben, eine Spirale bilden und über ihm hochsteigen.

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    ZWÖLF
     
    Nicht Sammy, nicht mein Sammy. Nicht mein Junge.
    In ihrem Kopf wiederholte Selena jene Worte wieder und wieder, auf dem ganzen Weg nach Hause. Sie erinnerte sich an nichts mehr von dem Rückweg, nur Theo neben ihr, stark und tröstlich, der ihren Jungen – ihren Jungen! – auf den Armen trug. Sie kämpfte gegen die dunkle Welle aus Hass, aus ansteigendem Zorn an, die drohte sie losschreien zu lassen.
    Eine Hand ließ sie auf Sams Arm liegen, entsetzt, wie kalt er sich anfühlte, und beobachtete die silbergraue Wolke um ihn herum, versuchte sich zu überzeugen, dass es nur heller Staub im Mondlicht war. Oder Glühwürmchen. Oder irgendetwas anderes.
    Und der schwelende Zorn trieb sie schneller voran. Die Erinnerung an das Gemetzel, der Anblick auf der Lichtung – Theo, der um sich drosch, zuschlug, Schädel zertrümmerte und der sie dann wegzerrte, ihr etwas ins Gesicht brüllte, was sie nicht verstehen konnte. Der Tod, das Blut, ihr Sohn . Ihr Sohn .
    Sie war sich am Rande noch der Unterhaltung bewusst, zwischen Theo und diesem anderen Mann, einem älteren Mann mit langem Haar, der Theo zu kennen schien.
    „Er hat versucht mich zu retten“, sagte der ältere Mann, dessen Name anscheinend Lou war. „Sie tauchten aus dem Nichts auf. Kein Stöhnen, keine Vorwarnung.“
    „Ich wusste, etwas war nicht in Ordnung, aber ich wusste nicht, dass es um dich ging“, sagte Theo mit angespannter Stimme. „Wenn ich zugehört hätte–ich bin nicht rechtzeitig da gewesen.“
    „Aber was hat Sam überhaupt draußen zu suchen gehabt?“, schaffte Selena zu fragen, als sie einmal kurz aus ihrer Dunkelheit auftauchte. „Warum war er außerhalb der Mauern?“
    Keiner hatte eine Antwort, aber tief in ihrem Inneren fragte sie sich das wieder und wieder. Sie war von Yellow Mountain hergekommen, wo sie Jennifer gesehen hatte. Das Mädchen hatte sie die meiste Zeit über ignoriert, außer für einen peinlichen Moment, als ihre Blicke sich trafen, aber Selena hatte gesehen, wie sie mit einem der anderen jungen Männer redete und flirtete. Einer, mit dem sie mal zusammen war und dann wieder nicht, je nach Lust und Laune. Sie vermutete, dass Sams nächtlicher Ausflug damit etwas zu tun hatte.
    Aber sie würde keine unbegründeten Vermutungen anstellen. Sie musste sich jetzt konzentrieren.
    Als sie Sammy endlich in das Bett verfrachtet hatten, das einmal Theo gehört hatte – Selena hatte es aus abergläubischen Gründen ausgesucht, in der Hoffnung auf ein zweites Wunder –, bekam sie endlich die Gelegenheit ihn zu untersuchen.
    Es stand schlimm.
    Hinter ihr, während sie noch abstreifte, was von Sams Hemd übrig geblieben war, atmete Theo. „Allmächtiger.“ Er drehte sich zu dem Mann namens Lou um, „wir müssen Elliott hierher kriegen.“
    Lou erwiderte etwas, aber Selena hörte ihn nicht, weil Sam gerade die Augen öffnete. „Mom“, flüsterte er.
    Sie berührte seine Stirn, versuchte ihn die Furcht in ihren Augen nicht sehen zu lassen, die Gewissheit. „Sammy. Ich bin da. Wir werden dich wieder zusammenflicken. Frank geht los und holt Cath.“
    „Ist er ... ok?“, sagte Sam mit leiser, gebrochener Stimme. „Der Mann.“
    Selena drängte die bitteren Tränen zurück. Das war ihr Sohn. Das war der Mann, den sie großgezogen hatte.
    „Ich bin hier“, sagte Lou und trat einen Schritt vor, damit Sam ihn sehen konnte. „Danke“, sagte er. „Danke, dass du mir geholfen hast.“
    „Gut“, sagte Sam. Er schloss die Augen und panisch schaute Selena hoch und um sich, ob die Wolke da war und ob sie sich veränderte.
    Das Herz sank ihr, als sie das graue Funkeln sah, auch wenn es noch nicht ins Blaue überging; die Partikel, die so anmutig kreiselten, wie Flocken von silbernem Staub. Nein. Verpisst euch. Lasst meinen Sohn in Ruhe.
    Sie wusste nicht, wie lange sie da mit ihm saß; sie wusste, dass irgendwann Cath kam und die tiefen Wunden in Sams Magengegend untersuchte, ihre eigenen Salben denen hinzufügte, die Vonnie dort aufgetragen hatte. Selena sah, dass Caths Gesicht angespannt und unnachgiebig war, dass alle mit gedämpften Stimmen zu

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