Die verratene Nacht
Teufel habe ich mir nur dabei gedacht?
Er ließ sie mit mehr Zärtlichkeit los, als er bislang an den Tag gelegt hatte, hielt sie fest, bis sie ihr Gleichgewicht wiederfand. Die Knie wackelten ihr und sie wollte nur dort stehen und genießen ... aber so würde das hier nicht ablaufen.
„Warum“, sagte sie außer Atem, als er seine Jeans rasch wieder hochzog, „siehst du immer so wütend aus, wenn du mich küsst?“
Ian blickte kurz zu ihr, sein Mund schmal, seine Augen heiß und finster, und zuckte kurz mit den Achseln. „Es gibt jemanden, die ich lieber küssen würde“, sagte er, „wenn ich die Wahl hätte.“
Remy fand ihren Atem wieder. „Tja, das ist wohl das erste Mal, dass du mir die Wahrheit gesagt hast“, schaffte sie noch zu sagen. Mistkerl.
Er lächelte nicht, als sein Gürtel sich mit einem leisen Klink wieder schloss. „Wahrscheinlich.“
„Lacey?“, konnte sie sich nicht verkneifen.
„Gott. Shit, nein.“
Er trat weg von ihr und griff sich in die Hosentasche. Dann gab er ihr die Pistole zurück. „Denk ja nicht dran, dich heute Nacht fortzuschleichen. Du schläfst neben mir. Heute Nacht und auch in der nächsten Zeit. Bis auf Weiteres.“
Sie starrte ihn wütend an. Als ob du mich hierbehalten könntest.
Er schaute sie an, „du glaubst doch nicht etwa, dass ich vorhabe Remington Truths Enkelin einfach davonspazieren zu lassen, oder?“
~*~
„Ich habe etwas, worüber ich gerne mit dir reden möchte“, sagte Theo zu Selena. Es war mehr als zwei Wochen her, seit Sam gestorben war, und er hatte viel weniger von Selena gesehen, als ihm lieb war. Sehr viel weniger.
Denn beide hatten sie zwar im selben Haus gewohnt, aber es war erstaunlich, wie sie nie bei den gleichen Mahlzeiten dabei war wie er und dass sich ihre Wege nicht sehr oft kreuzten. Er hatte allmählich – mit einem sehr unguten Gefühl tief in ihm drin – den Verdacht, dass sie ihm absichtlich aus dem Weg ging. Er verstand, dass sie Zeit brauchte, um mit ihrem Verlust zurecht zu kommen, aber da blieb dennoch ein großer Teil von ihm, der sich fragte, warum er nicht ein Teil davon war. Warum sie es nicht mit ihm teilte.
Vielleicht weil Sam „ihrs“ gewesen war und nicht seins. Vielleicht glaubte sie nicht, dass er um den Jungen trauerte. Aber das tat er.
Nicht dass er und Selena nicht mit anderen Dingen beschäftigt wären. Am Tag, nachdem Sam gestorben war, kamen drei Patienten für Selena an. Theo war darüber wütend gewesen, wütend auf die Welt oder das Universum oder Wen-auch-immer, dass sie Selenas Trauer unterbrachen, aber sie hatte es mit Fassung ertragen und widerspruchslos hingenommen und sich mit der gleichen Anteilnahme um die Sterbenden gekümmert, wie er sie zuvor an ihr beobachtet hatte.
Vielleicht war auch das ein Segen – die Ablenkung und eine Rückkehr in die Normalität.
Und Theo war auch beschäftigt gewesen. Er und Lou hatten Tag und Nacht an der Blizek Sicherheit gearbeitet (es war ein Witz für ihn, dass er es vor so vielen Wochen so schnell und so einfach durch die erste Sicherheitsbarriere geschafft hatte), ebenso an den Zahlenreihen, die – so ging die Theorie von Lou – geographische Koordinaten anzuzeigen schienen. Aber sie mussten herausfinden, wie man die neu berechnen konnte, jetzt wo die Erdachse sich verändert hatte. Und Theo hatte auch darüber nachgedacht, was er mit den Flipperautomaten und Spielkonsolen anstellen könnte, und mit ihren blinkenden, aufblitzenden Lichtern.
Abgesehen davon hatte Frank – jetzt wo Sammy nicht mehr da war – die Zwillinge dazu verdonnert, ihm bei einer Reihe von Aufgaben zur Hand zu gehen – was sie gerne taten, auch wenn Lou über die Schnelligkeit und die Kraft des dreiundneunzig Jahre alten Mannes grummelte.
„Vergiss deine Sache. Ich halte den da für den verdammten Superhelden“, sagte er einmal, nachdem sie drei Stunden lang Steine herumgeschleppt und einen Teil der Mauer wieder aufgebaut hatten, und wo Frank nur einmal fünf Minuten Pause gemacht hatte.
Aber jetzt hatte Theo es doch geschafft, Selena zu erwischen und einen Spaziergang nach dem Abendessen vorzuschlagen. Die Sonne war ein strahlender, orangener Ball, der zum Horizont niedersank und damit auch die Nacht mit sich brachte. Merkwürdigerweise verspürte er nicht mehr die gleiche Art böser Vorahnungen wie in der Vergangenheit, dass sie da rausgehen würde.
Seit Sammy angegriffen worden war, war sie nicht rausgegangen. Er hatte sie beobachtet.
Vielleicht hatte
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