Die verratene Nacht
der erste Warnschuss gewesen, dass es nicht gut enden würde.
Selena strich mit der Hand über sein Hemd, als wolle sie da etwas glatt streichen und jeder Gedanke an Sage war wie fortgeblasen, als seine Haut hochsprang und unter ihrer Berührung prickelte. Sage, wer war das noch gleich?
„Nett?“, antwortete Selena. „Das ist nicht das Wort, das mir in den Sinn kommt.“ Ihre Augen wurden schmal, als ihr Lächeln etwas mechanisch wurde. Dieser Anflug von Entsetzen war wieder auf ihrem Gesicht. „Du küsst verflucht gut – für einen Jungspund“, sagte sie. Und bevor er sein Gehirn wieder von dort rausholen konnte, wo es gerade feststeckte, drehte sie sich weg.
Er hätte ihr nachgehen können, aber er stand immer noch ein wenig unter Schock von wegen, was dieser Kuss ausgelöst ... wie er ihn erschüttert hatte. Und nicht nur das, sondern auch... Aber kaum hatte er auch nur einen Schritt nach vorne gemacht, als plötzlich Jen dort um eine Ecke bog, her zu ihnen.
Wenn man vom Jungvolk spricht.
~*~
Selena zwang sich dazu, mit betont gelassener Langsamkeit wegzugehen, auch wenn ihr die Knie zitterten und der Kopf ihr schwindelte.
Es lag am Wein. Sie sagte sich selbst, dass es am Wein liegen musste , an der halben Flasche, die sie zum Abendessen getrunken hatte und die dazu geführt hatte, dass ihr ein einfacher Kuss komplett die Sinne vernebelte. Heiliger Strohsack, sie hatte da an ihm fast gehechelt. Gott sei Dank wurde es dunkel, so dass niemand – und schon gar nicht Theo – die Schamröte auf ihren Wangen sehen konnte.
Aber selbstverständlich hatte sie auch dafür eine Erklärung. Wurden nicht jedem vom Weintrinken die Wangen rosig?
Aber das Wackeln in den Knien und das Flattern in ihrem Bauch, als sie da von ihm wegging ... nicht so leicht zu erklären. Aber die Hitze ließ sich nicht – so gar nicht – ignorieren, die über sie geflossen war, als sie sich gegen den festen, jungen – derart jungen, derart harten und muskulösen – Körper lehnte.
Was zum Teufel tat er da nur, eine Frau zu küssen, die alt genug war, um seine Mutter zu sein?
Dann verschlimmerte der Anflug von Scham sich noch, als ihr aufging, was da vor sich gegangen war. Warum er sich genötigt sah, sie zu küssen. Der Junge dachte, er schulde ihr was.
Es war ein Kuss aus Mitleid !
Oh Gott, oh Gott, ich brauch’ was zu trinken. Das Gesicht brannte ihr und ihr Magen war vor lauter Scham wie abgeschnürt. Ihr war übel.
Selena sah sich nach Frank um – er wusste wahrscheinlich, wo sie noch ein Glas Wein bekommen konnte. Oder auch noch was Stärkeres.
Sie stand Jen um keinen Deut nach. Nein ... sie war schlimmer. Jen war nur sieben Jahre älter als Sam und hoffentlich hatte sie Sam noch nicht geküsst ... außerdem musste Theo mindestens zwanzig Jahre jünger sein als Selena.
Oh nein! , schrie es in ihrem Kopf auf.
Sie hatte gesehen, wie kuschelig Theo es bei der jungen Frau gehabt hatte, so eng zusammengerückt auf den Decken da. Oh mein Gott, ich bin so ein hirnverbrannter Idiot.
Als ob er Selena eines weiteren Blickes würdigen würde, wenn er eine schlanke, junge, wunderschöne Jen im Arm hatte.
War es überhaupt möglich sich noch schlimmer zu fühlen? Sich noch mehr zu schämen? Jep, für sie schon. Wenn irgendjemand anderes sie dabei beobachtet hatte, wie sie sich an einen jungen Mann ranschmiss. Was, wenn Sam davon hörte? Oh weiohwei.
War es möglich, dass jemand sie beobachtet hatte? Sogar ziemlich möglich, dachte sie und konzentrierte sich jetzt stattdessen auf das Problem, was sie sagen würde und wie sie sich verhalten würde, beim nächsten Mal, wenn sie Theo sah. Oh, Gott.
Sie hatten sich abseits von den Zuschauern befunden und ein paar Sträucher hockten da in Grüppchen zwischen ihnen und dem Wiesenstück, wo der Rest der Leute saß. Es wurde allmählich dunkel, es gab mehr Schatten und wahrscheinlich schenkte niemand ihnen Beachtung, denn Vonnie hielt sie all restlos gebannt mit ihrer Geschichte. Und der Winkel, in dem sie zu einem der Häuser gestanden hatten, hätte wahrscheinlich auch einen direkten Blick unmöglich gemacht.
Selena fühlte sich da etwas erleichtert, als ihr das alles einfiel. Sicher: es würde schrecklich werden Theo morgen zu sehen, aber das würde sie überstehen. In ihrem Leben hatte sie schon einen Haufen anderer, viel schlimmerer Dinge bewältigen müssen.
Und abgesehen davon gab es für ihn, jetzt da er sich wieder fit fühlte, sowieso keinen Grund mehr, weiter in
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