Die verratene Nacht
nebenbei. „Der Mann isst mehr als Sammy und Tyler zusammen!“
„Er ist schon aus Yellow Mountain zurück?“, fragte Selena ebenso nebenbei.
Vonnie warf ihr einen mit viel Skepsis gepfefferten Blick zu und ein kleines Lächeln zuckte ihr in den Mundwinkeln. „Ich glaube, er ist oben in den Arkaden.“
Was wollte Theo nur mit all den alten Sachen in den Arkaden? Und wer hatte ihm erlaubt dort hochzugehen?
Vonnie beantwortete ihr die Frage schon. „Nun, es war Frank. Er mag den Jungen irgendwie und hat ihm gesagt, er kann da hochgehen.“
Junge. Richtig, er war ein Junge .
Selena musste sich immer wieder daran erinnern.
Das Haus, in dem sie wohnten und wo Selena sich um ihre Patienten kümmerte, war riesig – ein Anwesen, sagte Vonnie; eine Hazienda, hielt Frank dagegen – aber sie benutzten sehr wenig von der Wohnfläche für sich. Und da es nicht viele Leute gab, die dauerhaft mit Sterbenden zusammenleben wollten, waren es nur Frank, Vonnie, Selena und Sam, die wirklich in dem langgestreckten, dreistöckigen Gebäude wohnten.
Was sie die Arkaden nannten, nahm den gesamten dritten Stock des Hauses ein, mit Türen, die Frank vor Jahren versiegelt hatte, damit niemand – ganz besonders nicht die Snoopies – davon etwas mitbekamen. Selena hatte auf DVDs Arkaden gesehen und Vonnie hatte so etwas vor dem Wechsel anscheinend auch mal besucht – aber diese hier war viel größer und interessanter als alles, was sie bislang gesehen hatte, wenn man denn die Regale und vielen Fächer voller alter Maschinen interessant fand. Sie war seit über fünf Jahren nicht mehr dort oben gewesen, dachte sie gerade, und damals auch nur kurz mit Frank zusammen.
Als sie die Tür öffnete, die Frank so bearbeitet hatte, dass sie aussah, als wäre sie mit Brettern verriegelt, es aber in Wirklichkeit nicht war, sah sie Theo erst nirgends.
„Theo?“, rief Selena laut, als sie ein leises Summen aus einer der weit entfernten Ecken hörte. Ihr ging da recht spät auf, dass sie sich besser Schuhe angezogen hätte, bevor sie an diesen verstaubten, verlassenen Ort kam.
Keine Antwort. Sie lief auf das summende Geräusch zu und nahm dann ein leises Klackern, ein Rasseln wahr – er war ganz sicher dort. Sie fand ihn schließlich, um eine Ecke herum mit dem Fenster im Rücken offen, damit die Luft durchzog. Es gab glücklicherweise nicht allzu viel Staub. Dank Frank, vermutete sie mal.
Theo schaute nicht hoch, als sie sich näherte. Er starrte gerade auf den Bildschirm von einem Computer. Seine Lippen bewegten sich und seine Augenbrauen zogen sich zusammen, während seine Hände wie der Blitz über eine Tastatur flogen, die Tasten drückten, mit Nachdruck darauf hämmerten, dann auf einmal, „Scheiße, du beschissenes Arschloch, du weißt, dass du in der Scheiße steckst, wenn du Scheiße nochmal nicht das machst, was ich dir Scheiße nochmal sage!“ ...Und dann war er wieder dabei, die Tasten zu attackieren, als ob sein Leben davon abhinge.
„Na, was bist du doch für ein Süßholzraspler“, sagte Selena und näherte sich, fasziniert von all der Anspannung da auf seinem Gesicht. Seine Augen waren so konzentriert, sein Haar stand in allen möglichen Locken und Stacheln hoch, wie die Federn eines etwas zerrupften Vogels.
Er fuhr herum, um sie anzuschauen, die Hände ruhten jetzt auf den Tasten. Der überraschte Gesichtsausdruck verflog rasch, aber verriet ihr, dass er sie wirklich nicht hatte kommen hören. Sein Gesicht schien angespannt, ein bisschen verkniffen, als ob ihn etwas arg beschäftigte.
„Wenn sie sich benehmen würde und das tun würde, was ich von ihr will, dann müsste ich nicht grob zu ihr sein“, sagte er und sein Gesichtsausdruck wurde etwas weicher. „Frauen können bisweilen etwas widerspenstig sein.“ Lachen blitzte warm in seinen Augen auf. Und wärmte auch sie. „Ich bin froh dich zu sehen. Ich kann eine Pause gut gebrauchen.“
Selena ging näher zu ihm hin, ihre Aufmerksamkeit auf den Windungen dieses roten Drachens an seinem Arm. Und hoch über die Schwellung seines Bizeps hinauf, bis hin zu einer starken, runden Schulter. Nicht gerade ein Junge ... sie verbot sich mental den Gedanken da weiter zu führen.
Keine Küsse aus Mitleid mehr. Das würde ab jetzt ihre neue Mantra sein.
Selena änderte ihre Taktik. „Sicher können wir Frauen bisweilen etwas widerspenstig sein, wenn die Situation es erfordert“, entgegnete sie und schaute dann fest entschlossen zu dem Bildschirm hin. Zeichen aller
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