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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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einem der nahe gelegenen.
    Fiore geht los. Mit langen, energischen Schritten. Es bleibt mir nichts anderes übrig, ich muss ihr folgen, obwohl ich mich auf der Brücke grauenvoll schutzlos fühle. Sie bietet kein einziges Versteck.
    Kurz bevor wir die Mitte erreichen, kniet sich Fiore gefährlich nahe an den linken Rand und späht nach unten. »Erfolgreich?«, ruft sie.
    Ich kann nicht sehen, wem ihre Frage gilt, aber ich höre die Antwort.
    »Kann nicht klagen!« Eine Männerstimme, tief und heiser. »Vier Stück heute schon. Hätte ich bessere Köder, wären es noch mehr.«
    Vorsichtig lasse ich mich neben Fiore auf Hände und Knie nieder. Dort unten steht ein Mann, in der Hand hält er eine lange Stange, an der ein dünnes Seil bis ins Wasser hängt. Neben ihm, in einer zerkratzten, verbeulten Plastikwanne, liegen … Fische. Zieht der Mann sie mit seinem Seil aus dem Fluss?
    »Hast du Schlitzer gesehen?«, ruft Fiore. »Hier oben hängt ein Warnzeichen.«
    »Ich nicht, aber Karol. Zwei, hat er gesagt, und sie machten einen ausgehungerten Eindruck.«
    »Wann war das?«
    Der Mann dreht seine Hand in einer unbestimmten Geste hin und her. »Vor zwei Stunden, schätze ich. Laut Karol sind sie über die Brücke gelaufen, aber ich habe niemanden gesehen.« Er lacht rau. »Aber vielleicht hat er auch bloß zu viel Schnaps getrunken und Nebelschwaden gesehen. Oder ich hatte Glück.«
    »Ja, Glück«, bestätigt Fiore düster. »Besser, du gehst heim. Ich informiere Quirin.«
    Der Mann reibt sich erst die Stirn, dann den Nacken. Unsicherheitsgesten.
    »Heimgehen? Aber sie beißen gerade so schön …«
    Wer beißt? Und wie kann das schön sein?, möchte ich fragen, verkneife es mir aber. Je schneller wir von hier verschwinden, desto besser. Wölfe, Schlitzer – ich habe kein gutes Gefühl. Gestern bin ich mit Mühe und Not und mit Sandors Hilfe gerade so einem wütenden Wildschwein entkommen, aber irgendwann wird meine Unerfahrenheit mir noch mal das Genick brechen. Die Weite der Außenwelt ist mir heute zu viel. Ich will Wände um mich haben, Wände bedeuten Sicherheit.
    »Wir informieren dich, wenn die Luft wieder rein ist.« Fiore klingt herrisch und der Mann mit den Fischen hebt resigniert die Schultern.
    »Na gut. Aber vergesst es nicht, ich warte.«
    Den Rest der Brücke legen wir im Laufschritt zurück, Fiore hat es plötzlich beunruhigend eilig. Ich kann nicht anders, ich sehe mich immer wieder um, mit dem unguten Gefühl, dass jemand hinter uns her ist. Aber da ist niemand, und wenn doch, so zeigt er sich nicht.
    Am anderen Ufer angelangt, überqueren wir die Überreste einer weiteren breiten Straße und biegen dann scharf rechts ab. Ich will protestieren, will in der Sicherheit eines Hauses verschwinden, aber Fiore läuft einfach weiter.
    Und dann läuft sie plötzlich abwärts.
    Da ist ein Loch im Boden. Wie ein riesiger, tiefer Schacht, in den brüchige Treppen führen. Neben uns sehe ich weitere Stufen, aus merkwürdig geriffeltem Metall, doch sie sind nicht vollständig. Da waren sicher Stahlräuber am Werk.
    Noch tiefer hinab. Bis wir in einer tunnelförmigen Halle stehen, einer Röhre, die mich an die Verbindungsgänge zwischen den Sphären erinnert, nur dass diese hier größer ist und unter der Erde liegt. Es ist dunkel, nur der Lichtkegel einer Stablampe huscht über die Tunnelwände, fällt auf steinernen Boden und gekrümmte Wände. Die Lampe befindet sich in Fiores Hand und ist, wie ich auf den zweiten Blick erkenne, ehemaliger Bestandteil einer Sentinel-Ausrüstung.
    »Wir müssen da runter.« Fiore zeigt nach rechts.
    Wir stehen auf einer Art Betonsteg, etwa eineinhalb Meter hoch, doch er endet an einer Wand. Rechts und links führt der Tunnel weiter, niedriger und enger. Sein Boden ist mit Schutt und Steinen bedeckt, dazwischen liegen ähnliche Eisenträger wie vorhin auf der Straße.
    »Was ist das hier?« Der Tunnel verursacht mir Unbehagen.
    »Ein Weg, den die Schlitzer nicht nehmen. Sie haben nichts, womit sie leuchten könnten.« Fiore lässt den Strahl ihrer Lampe kreisen. »Früher sind hier Bahnen gefahren, Quirin kann dir Bilder zeigen.«
    »Du meinst Züge? Unter der Erde?«
    Sie nickt knapp. »Können wir?«
    Ich nicke.
    Sie stehen unter meinem Schutz und dem der Stadt unter der Stadt, erklingen Quirins Worte in meinem Kopf.
    Wenn das hier die Stadt unter der Stadt ist, verströmt sie eher den Geist eines Grabes als den eines Schutzortes.
    Die ersten Schritte taste ich mich noch

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