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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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Stellen. An anderen ist es herausgebrochen worden. Brennstoff.
    Nun führen die Treppen wieder abwärts, wir klettern über zwei Schuttkegel, die wie Barrikaden aufgehäuft sind. Dann öffnet Bojan eine Tür, die doppelt so hoch ist wie er selbst.
    »Quirin?«, ruft er. »Alles in Ordnung, sie sind da.«
    Ich höre, dass Quirin antwortet, aber ich verstehe kein einziges Wort, denn der Saal, den ich betrete, nimmt alle meine Sinne gefangen.
    Weiß glänzende Säulen stützen hoch über uns eine bemalte Decke, der Steinboden schimmert in der Farbe warm geriebener Haut, durchbrochen von braunroten Mustern – Rauten, Rechtecke, Kreise, Blüten. Die Holzwände sind unversehrt und voll mit Büchern. Richtige, alte Bücher, mit Seiten aus Papier und Buchstaben aus Druckerschwärze.
    Wie Wächter stehen Statuen aus weißem Stein im Raum, Männer mit langem gelocktem Haar in eigenartigen Posen und noch eigenartigeren Gewändern. Als hätte jemand die Figuren aus Bajas Märchen nachgebildet.
    Ich drehe mich im Kreis, um kein Detail dieses Palastes zu übersehen, bekomme kaum mit, wie Fiore und Bojan sich verabschieden.
    Große, hölzerne Globen, wie durch ein Wunder unversehrt. Goldene Verzierungen an den Wänden. Ich denke an die Geschichte von dem Mädchen, das hundert Jahre lang schlief, umgeben von einer Dornenhecke, und frage mich, ob der Clan mit dem Namen Schwarzdorn sie sich auch erzählt.
    Quirin winkt mich zu sich. »Mein Reich«, sagt er. »Ich glaube, du gehörst zu denen, die es zu schätzen wissen.«
    Immer noch sprachlos, streiche ich über den Sockel einer der Statuen. Glatt und kühl und alt. »Was ist … das für ein Gebäude?«
    »Ein Palast des Wissens. Eine Bibliothek. Hier haben Menschen vor der Langen Nacht Bücher aufbewahrt, sie studiert, sie bewundert. Es ist mein Zuhause.«
    Bibliothek. Das Wort jagt mir einen Schauer über den Rücken, es zerrt die Erinnerung an die Stimme des farblosen Sentinel hinter sich her: Die Betreffenden müssen getötet werden.
    »Es …« Meine Stimme ist ein Krächzen, ich räuspere mich und setze noch einmal an. »Es gibt auch in den Sphären Bibliotheken.«
    Mit einem Ruck wendet Quirin mir den Kopf zu. »Tatsächlich? Mit richtigen Büchern?« Er deutet auf die prunkvollen Regale, die uns umgeben.
    »Zum Teil. Die Sphäre, aus der ich komme, beherbergt die größte Akademie des Bundes und wir durften die alten Werke studieren. Papierbücher. Das meiste Wissen ist allerdings auf Datenträgern gespeichert, wir laden die Texte auf unsere Terminals.« Ich verstumme. So gebildet Quirin für einen Prim auch sein mag, er wird sich kaum etwas unter einem Datenträger vorstellen können.
    »Keine Sorge, ich kann dir folgen«, sagt er mit amüsiertem Lächeln, dann holt er aus der Schublade eines verzierten Tischchens ein Terminal hervor.
    Ich hatte eins der gleichen Bauart, als ich zwölf war. Es ist ein altes Modell, aber es liegt mir so vertraut in der Hand, dass ich weinen könnte. Ein Stück Kindheit. Ein Stück Sicherheit.
    Bevor mir meine Gesichtszüge entgleiten können, besinne ich mich auf ein anderes Stück Sicherheit in meinem Leben. Graukos Lektionen. Freundliches Interesse. Die Mundwinkel leicht nach oben, die Augenbrauen heben, offener Blick. »Woher haben Sie das?«
    Quirin antwortet nicht, lächelt nur, und ich verstehe. Raubzüge, Diebstähle, was sonst?
    »Welche Bücher hast du gelesen, Ria?«, fragt er mit einer weit ausholenden Geste, die den halben Raum umfasst.
    »Vieles über Geschichte. Ulrichs dreibändiges Werk über die Wasserkriege, zum Beispiel. Churchills Buch über den Zweiten Weltkrieg. Fachliteratur über den Handel zwischen den Sphären, psychologische Studien –«
    »Keine Gedichte? Keine Literatur? Goethe, Shakespeare, Brecht?«
    Die Namen habe ich schon einmal gehört, aber Dichtung war nicht mein Spezialgebiet. Warum auch? Für jemanden, dessen Aufgabe es sein sollte, gemeinsam mit anderen die Welt neu aufzubauen, sind Gedichte nicht wichtig.
    »Nein«, gebe ich zu. »Ich hatte andere Schwerpunkte. Aber Dantorian, der kennt sicher –«
    »Keine Geschichten?« Quirin kann es nicht glauben und wieder sehe ich Mitgefühl in seinen Augen.
    »Doch.« Wieso habe ich das Gefühl, mich verteidigen zu müssen? »Ich habe Geschichten gelesen, in meiner Freizeit. Krimis, Liebesgeschichten, solche Dinge. Es gibt einige gute Schriftsteller im Sphärenbund. Und früher, als Kind –« Diesmal unterbreche ich mich selbst, denn von Baja zu sprechen

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