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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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vorsichtig durch den unterirdischen Gang, der unebene Boden ist voller Stolperfallen. Nach ein paar Minuten wird es leichter und wir laufen nicht weit, da tut sich eine weite Halle vor uns auf, wie die vorherige, wieder mit einem höher gelegenen Steg in der Mitte.
    »Man nannte das Station«, erklärt Fiore. »Hier haben die Züge angehalten, um Menschen ein- und aussteigen zu lassen.«
    Ich versuche, es mir vorzustellen, doch in meinem Kopf erscheinen immer nur die Bilder der Magnetbahn und damit gehen unweigerlich Erinnerungen an die farblosen Sentinel einher. An einen toten Körper im Schnee. An Kälte, die beim Laufen in die Lungen schneidet.
    Wieder tauchen wir in einen engen Tunnel ein.
    »Gleich«, sagt Fiore.
    Als sich unser Weg ein weiteres Mal verbreitert, also an der darauffolgenden Station, trifft das Licht der Taschenlampe auf eine menschliche Silhouette. Jemand wartet auf uns. Ein junger Mann, Mitte zwanzig. Sein blondes Haar ist zu einem Zopf gebunden, der ihm über den Rücken fällt.
    »Quirin dachte schon, euch wäre etwas zugestoßen.«
    »Nein.« Fiore ignoriert die Hand, die er ihr entgegenstreckt, und schwingt sich auf den Steg hinauf, die Lampe zwischen den Zähnen.
    Ich dagegen bin froh über jede freundliche Geste.
    »Ria«, stelle ich mich vor, als der Blonde mir die Hand reicht. »Danke, dass du uns begleitest.«
    Fiore hat sich abgewandt, ich kann ihr Gesicht nicht sehen, aber ich höre ihr verächtliches Schnauben. Sie hat ganz klar ein Problem damit, Hilfe zu akzeptieren.
    »Karol will an der Brücke Schlitzer gesehen haben«, sagt sie. »Angeblich nur zwei, aber … du weißt ja. Schick eine Patrouille los, die sollen das überprüfen.«
    »Ich gebe es weiter.«
    Wir laufen Treppenstufen nach oben, dem Tageslicht entgegen. Der Blonde, der Bojan heißt, ist uns immer zwei Schritte voraus, er hat eine Art Schwert gezogen – eine lange Klinge mit Griff.
    Doch niemand lauert in den Halbschatten, nur zwei alte Männer schlafen an Säulen gelehnt, bis über die Nase eingewickelt in Felle und Decken.
    Unser Weg führt uns einen langen Gang entlang, mit Nischen auf beiden Seiten, und endet in einer kreisrunden Halle, von der sternförmig Treppen nach oben führen. Bojan nimmt die erste links und führt uns zurück ans Tageslicht.
    Die verfallenen Gebäude hier sehen anders aus, älter. Aber ich habe keine Zeit, sie näher zu betrachten, ich bin vollauf damit beschäftigt, nicht hinter meinen Begleitern zurückzufallen.
    Nicht lange und wir sind am Ziel.
    Der riesige Gebäudekomplex, auf den Bojan und Fiore zusteuern, sieht mitgenommen, aber nicht einsturzgefährdet aus. Er wirkt – ich kann es nicht besser beschreiben – irgendwie lebendig. So ähnlich habe ich mir immer die Paläste vorgestellt, in denen die Prinzessinnen aus Bajas Märchen wohnten. Von Säulen flankierte Fenster, Statuen, die auf Simsen stehen, hoch über unseren Köpfen. Ein mehr als lebensgroßes Denkmal muss einmal auf dem Vorplatz gestanden haben; jetzt ist es umgekippt. Der Mann und sein Pferd liegen auf dem Boden, die Schenkel des Reiters schließen sich immer noch fest um den Leib des Tieres.
    »Wir sind da.« Fiore deutet auf den Eingang, zu dem ein paar Stufen führen, rechts und links davon stehen Wachen mit abenteuerlich wirkenden Waffen – Klingen an mannshohen Stangen. Die Männer lassen uns passieren, aber nicht, ohne mich von oben bis unten zu mustern. Als wir eintreten, höre ich sie etwas abfällig murmeln. Einer spuckt aus. Ich beeile mich, Fiore zu folgen.
    Wir durchqueren eine große Halle, der steinerne Boden ist gemustert und nur von wenig Schutt bedeckt. Ich versuche, vorsichtig zu gehen, trotzdem klingt jeder meiner Schritte in meinen Ohren laut wie ein Schuss.
    Ein an der Wand angebrachter Pfeil trägt die Aufschrift Servicedesk, aber er zeigt ins Leere. Meine Haut prickelt; Relikte aus der Zeit vor der Langen Nacht erfüllen mich immer mit sehnsüchtiger Unruhe.
    Gang folgt auf Gang und Flur auf Flur. Wir laufen schweigend, Fiore und Bojan wechseln gelegentlich Handzeichen, doch es ist keins dabei, das ich kenne.
    Treppen führen hinauf, ein Stockwerk, ein zweites. Ich habe völlig die Orientierung verloren; wenn die beiden mich jetzt allein lassen, finde ich hier nie wieder raus.
    Durch glaslose Fensteröffnungen weht uns Wind entgegen, doch in den leeren Räumen findet er nichts, was er forttragen könnte. Der Boden knarzt unter unseren Schritten, hier ist er aus Holz, zumindest an einigen

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