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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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fehlgeleitete Sympathie gegenüber den Außenbewohnern. Meine Wut auf Aureljo ebbt ab und macht Platz für Wut auf mich selbst. Anstatt das Gehörte sachlich zu interpretieren, habe ich mich von meiner Panik leiten lassen.
    Am Nebentisch ist jemand aufgestanden und Tudor hat mit einer schnellen Bewegung den Stuhl gepackt und ihn an unseren Tisch gezogen. »Du siehst nicht gut aus, Ria, setz dich hin.«
    Ich tue, was er sagt, mein Körper fühlt sich an, als würde ihn jemand anders steuern.
    Wahrscheinlich handelt es sich doch um einen Irrtum. Mein Salvator hat mich zur Flucht gezwungen, ich konnte das Gespräch zwischen Gorgias, Morus und dem Unbekannten nicht bis zum Ende verfolgen. Möglich, dass sich das Ganze schon längst als Missverständnis herausgestellt hat. Oder eben doch als Intrige. Ich sehe Tudor an, den ehrgeizigen Tudor, der meinen Blick erwidert, ernst und herausfordernd zugleich.
    »Ja?«, fragt er. »Wolltest du etwas sagen? Mir danken, eventuell?«
    Ich würde am liebsten erzählen, was ich gehört habe. Alles, jedes einzelne Wort wiederholen, vor allen hier im Café. Wenn Tudor dahintersteckt, könnte ich das von seiner Miene ablesen, da bin ich mir sicher. Er hat nur wenig Emotionstraining erhalten, seine Selbstkontrolle ist nicht wasserdicht.
    Ich versuche es ohne Worte. Lege die Anklage in meinen Blick. Ein winziges Nicken mit dem Kopf: Ich weiß, was du getan hast.
    Tudor zuckt nicht einmal mit der Wimper, legt nur interessiert den Kopf schief. »Alles in Ordnung mit dir?«
    »Wie man’s nimmt.« Gestern noch, im Gewächshaus, konnte ich Tudors Angst regelrecht spüren, heute wirkt er, als könnte ihm nichts etwas anhaben. War es nur der farblose Sentinel, dessen Anwesenheit ihn so aus dem Gleichgewicht gebracht hat? Es hat ganz den Anschein.
    Der Gedanke kommt wie selbstverständlich, und noch während er Form annimmt, frage ich mich, wieso er sich so lange Zeit gelassen hat. Ist es möglich, dass der Fremde, der meinen Tod gefordert hat, und der Sentinel ohne farbliche Kennzeichnung ein und dieselbe Person sind? War Tudor deshalb so erschrocken, ihn zu sehen? Kennt er ihn und weiß, was sein Auftauchen zu bedeuten hat?
    »Ria?« Tudor schnippt mit den Fingern vor meinem Gesicht herum. »Gibt es einen Grund, warum du mich so anstarrst?«
    Ich kann ihn nicht zur Rede stellen, nicht hier, nicht vor so vielen Leuten, deshalb schüttle ich stumm den Kopf, während gleichzeitig eine neue Gewissheit in mir aufsteigt, dunkel wie Asche. Ich werde mit niemandem über den Fremden reden können, nicht, wenn es stimmt, was Gorgias gesagt hat. Dass unsere Gespräche abgehört werden.
    Nur wie, das hat er verschwiegen. Erstattet ihm einer der Studenten, die in Hörweite sitzen, heute noch Bericht? Sind an den Tischen Sender angebracht? Oder, viel wahrscheinlicher, überträgt mein Salvator jedes Wort, das ich spreche, in eine geheime Abhörzentrale?
    Ich bin so an meinen Salvator gewöhnt, dass ich ihn normalerweise nicht spüre, flach und leicht liegt er an der schmalsten Stelle meines Unterarms. Meist verschwindet er unter dem Ärmel und erinnert mich nur an seine Existenz, wenn er Signale abgibt. Doch auf einmal fühlt er sich schwerer an und engt mein Handgelenk ein. Mein Puls steigt auf 86, auf 92, während ich die Anzeige betrachte. Das Gerät ist mit einem Lautsprecher ausgerüstet, über den es seine Warntöne abgibt – sehr gut möglich, dass es auch über ein Mikrofon und einen Sender verfügt. Ein tragbarer Spion.
    »Dir geht es heute nicht so gut.« Aureljos leise Stimme holt mich ins Café zurück und mir wird bewusst, was für einen Eindruck mein Verhalten machen muss. Als wäre ich durcheinander und geistig abwesend. Oder als hätte ich ein Geheimnis.
    »Du hast recht.« Ich zwinge ein Lächeln auf mein Gesicht. »Ich habe letzte Nacht schlecht geschlafen. Die Sache mit Lu, du weißt ja.«
    »Natürlich.« Er klingt erleichtert, wie ich es erhofft hatte. Meine Vorwürfe gegen ihn, meine Zerstreutheit, all das lässt sich gut unter Traurigkeit verbuchen. Hoffentlich sehen das die, die uns beobachten, ebenso.
    »Ich gehe besser, ich bin heute keine gute Gesellschaft«, sage ich und stehe auf. Rücken gerade, Schultern locker, jetzt den Kopf noch ein wenig senken, dann sollte das Bild stimmen: bedrückt, aber gefasst. Behelfsmittel aus Graukos Programm für Notsituationen. Ein paar Sekunden klappt es hervorragend, dann betreten drei rote Sentinel die Kuppel. Außenwache. Sie sehen sich um

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