Die Verratenen
Vortrags- oder Schreibkurse. Er muss gut sein, wenn er sich mit einem künstlerischen Studium bis fast an die 100 herangearbeitet hat.
Ich gehe zurück in die Kuppel; auf meinem Weg schaue ich denjenigen, die mir entgegenkommen, nicht ins Gesicht, sondern versuche, gegen jede Vernunft, einen Blick auf den Teil ihres Salvators zu erhaschen, der unter dem Ärmel hervorlugt, und den dort eingravierten Namen zu erkennen. Aber es gelingt mir kein einziges Mal. Ich werde Tycho und Dantorian auf andere Weise ausfindig machen müssen.
7
Die Diskussion zwischen Aureljo und Tudor dreht sich um die Landwirtschaftssphären Camargue 3 und 4. Von dort beziehen wir Kohl, Tomaten und Gurken, doch in letzter Zeit gab es so viele Überfälle, dass ständig Lieferungen ausfallen. Wie immer plädiert Tudor dafür, hart durchzugreifen, während Aureljo vorschlägt, einen Teil der Ernte an die Außenbevölkerung zu verteilen und damit nicht nur deren Lebensbedingungen zu verbessern, sondern auch die Überfälle einzudämmen.
»Sicher«, erwidert Tudor mit schiefem Grinsen. »Du gibst ihnen ein paar Kohlblätter und dafür lassen sie dich in Ruhe.« Er nimmt einen Schluck aus seinem Glas. »Der edle Aureljo. In deinem Kopf klappt das alles ganz hervorragend, ich weiß, doch die Realität sieht anders aus: Egal, was du ihnen gibst, es wird ihnen nicht genügen. Sie werden mehr wollen, immer mehr.«
Ich stehe neben dem Tisch, es ist weit und breit kein Stuhl mehr frei. Aureljo will mich auf seine Knie ziehen, aber ich sträube mich. Ist es möglich, dass er diese Gedanken schon mal in die Tat umgesetzt hat? Dass er unerlaubterweise etwas von unseren Vorräten verteilt hat und dass uns das jetzt in Schwierigkeiten bringt?
Wir wissen , worüber sie sich unterhalten ,hat Gorgias gesagt. War der Beweis, den der Unbekannte vorgelegt hat, ein Gesprächsprotokoll? Doch wenn die Akademie uns belauscht, hätte Gorgias von dem Verrat doch wissen müssen.
Ich schaffe es nicht, die Fäden zu verknüpfen, aber ich habe riesige Lust, Aureljo anzubrüllen. Er muss der Schlüssel zu dem Desaster sein, in dem wir stecken. Wie oft hat er mit mir über die Prims gesprochen, immer verständnisvoll, ganz gleich, ob sie gerade eine Sphäre belagert oder eine Sentinel-Brigade überfallen und halb ausgelöscht hatten. Ich hätte mich entschiedener dagegenstellen müssen, so wie Tudor es tut. Ihn hat der Fremde nicht auf seiner Todesliste, natürlich nicht.
»Was ist denn los?« Aureljo greift nach meiner Hand und ich ziehe sie blitzschnell weg.
»Tudor hat völlig recht.« Ich erkenne meine Stimme fast nicht wieder, ein tonloses, wütendes Zischen. »Sie hassen uns, verstehst du? Die da draußen, mit ihren Bögen und Schleudern und ihren unmenschlichen Ritualen. Sie wollen nicht unsere Freunde sein, sondern das haben, was uns gehört, und sie werden keine Ruhe geben, bis die Rollen vertauscht sind.«
Aureljos Augen sind groß geworden, er sieht mich an, als wäre es das erste Mal, und ich kann die Enttäuschung in seinem Blick lesen. Meine Wut will abklingen, aber das darf ich nicht zulassen, sonst bleibt nur noch Angst. Die Betreffenden müssen getötet werden.
Wenn es wahr ist, dass die Akademie unsere Gespräche abhört, dann kennt sie jetzt meinen Standpunkt. Ich habe mich laut und überdeutlich von Aureljo distanziert und könnte vor Scham im Boden versinken.
Als er erneut versucht, meine Hand zu ergreifen, lasse ich es zu. Undeutlich nehme ich wahr, dass die Gespräche an den Nebentischen verstummt sind. Die 1 und die 7 kriegen sich selten in die Haare, das ist etwas, worüber man sich später flüsternd unterhalten kann.
»Ich weiß doch, wie schwierig es ist«, murmelt Aureljo in die entstandene Stille hinein. »Vielleicht zu schwierig. Aber ich kann mir keinen anderen Weg vorstellen als einen friedlichen. So steht es doch auch in den Gesetzen des Sphärenbundes.«
Damit hat er recht. Der Bund will keine Auseinandersetzungen zwischen der Bevölkerung innerhalb und außerhalb der Sphären. Keine von Aureljos Äußerungen kann man als verräterisch bezeichnen. Und selbst wenn er Zucker oder Mehl nach draußen geschmuggelt und dort verteilt hätte, wäre er höchstens heruntergestuft und zu Strafdiensten verurteilt worden. Aber was ist es dann? Was wirft uns der Fremde vor, wenn nicht eine Verschwörung mit den Prims?
Unvorstellbar , dass jemand zu so etwas fähig ist ,hat Gorgias gesagt. Das klang ernst und nicht so, als ginge es bloß um
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