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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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und kommen in unsere Richtung.
    Getötet werden, müssen getötet werden, raspelt die Stimme des Unbekannten in meinem Kopf. Unwillkürlich drehe ich den Kopf weg, als ob ich so verhindern könnte, dass die Wachen mich entdecken.
    Auf Morus’ Frage, wann es so weit sein würde, war die Antwort des Fremden bald. Das kann alles bedeuten. Morgen, in drei Tagen, in vier Wochen. Jetzt. Aber würden sie es hier tun, vor allen Leuten?
    Natürlich nicht, rufe ich mich zur Ordnung. Aber sie könnten uns unter einem Vorwand hier wegholen. Uns befragen, zu einer Verschwörung, von der wir nie etwas gehört haben, und uns dann …
    Ich lasse den Satz in meinem Kopf unvollendet, das letzte Wort ungedacht.
    Die Sentinel sind inzwischen an uns vorbeigegangen, sie haben die Kuppel nur durchquert und sind im Verbindungsgang zur Nachbarkuppel verschwunden.
    Nicht erleichtert ausatmen. Den gleichen Gesichtsausdruck beibehalten, den Tagesablauf ja nicht ändern. Ich habe mich für heute Nachmittag zum Dienst im Recyclingcenter gemeldet. Der Gedanke, mehrere Stunden neben den laut rüttelnden Maschinen verbringen zu müssen, scheint mir im ersten Moment unerträglich. Dann aber zeigt sich in seinem Windschatten eine Idee, die mir einen Teil des Gewichts von den Schultern nimmt. Ich tippe Aureljo an.
    »Ich gehe arbeiten. Kommst du mit?« Der Ton, den ich anschlagen wollte, ist mir gelungen. Leicht. Als wäre die Antwort Nein kein Problem. Dabei drücke ich meine Finger so fest ich kann gegen sein Schlüsselbein und hoffe, dass er die Botschaft versteht.
    »Sicher.« Er dreht sich zu mir um, sein Lächeln ist eine Spur zu strahlend, um echt zu sein. Er hat begriffen, dass etwas nicht stimmt.
    Wir winken einmal in die Runde und drängen uns dann zwischen den Stühlen des Cafés hindurch zum nächsten Kuppelausgang.
    »Was ist –«, beginnt Aureljo, kaum dass wir allein sind. Ich unterbreche ihn augenblicklich.
    »Angeblich ist gestern eine riesige Ladung Gebrauchtkunststoff angeliefert worden. Ich glaube, sie freuen sich über zusätzliche Leute beim Sortieren.« Ich nicke ihm zu. Er soll darauf einsteigen. Und er tut es, ohne zu zögern.
    »Natürlich.« Seine Augen sind groß und fragend, ich möchte mich um ihn schlingen und mein Gesicht in seiner Halsbeuge vergraben. Stattdessen fahre ich fort, Nichtigkeiten vor mich hin zu plaudern.
    »Es heißt, sie haben eine alte Deponie gefunden, eine wahre Schatzgrube. Ein großer Teil davon lässt sich zu Hermetoplast verarbeiten, vielleicht bekommen wir bald neue Kuppeln.«
    »Das wäre großartig.« Aureljos Gesicht ist eine einzige Frage, doch er behält sie für sich. Ich danke ihm mit einem Lächeln und versuche verzweifelt, das Gespräch oberflächlich zu halten.
    Doch während wir an den Familienquartieren vorbeigehen, den bunten Einheiten, in denen die natürlich gezeugten Kinder mit ihren Eltern wohnen, geht mir der Gesprächsstoff zum Thema Recycling aus. Also erzähle ich Aureljo von dem Kriminalroman, den ich zur Hälfte gelesen habe – Morde in Sphäre Neu-Berlin 1. Ich spekuliere, dass der Mörder einer der grünen Sentinel von der Quartierwache ist. Falls uns jemand abhört, muss er sich erbärmlich langweilen. Aber in Kürze wird es für ihn noch viel schlimmer werden.
    Das Recyclingcenter liegt in einer der äußeren Kuppeln an der Nordseite der Sphäre. Bei Schlechtwetter peitschen Sturm und Schnee hier am heftigsten gegen die Wände, doch auch wenn es draußen ruhig ist, so wie heute, versteht man in der Nähe der Maschinen kaum sein eigenes Wort.
    Wir ziehen die dunkelblauen Arbeitsoveralls über und lassen uns vom Werkshallenleiter Plätze am Transportband zuweisen. Sie liegen nebeneinander, mit so viel Glück habe ich gar nicht gerechnet.
    Die verschiedenen Kunststoffarten, die auf dem Band an uns vorbeifahren, in farbige Behälter zu sortieren, ist einfach, wenn man es schon mal gemacht hat. Ich kann meine Gedanken spazieren gehen lassen, während meine Hände ihre Arbeit verrichten; normalerweise entspanne ich mich dabei. Heute versuche ich, mir Worte zurechtzulegen, mit denen ich Aureljo das Wichtigste mitteilen kann. Ich muss ihn überzeugen, ohne dass er viele Gegenfragen stellt. Er muss begreifen, dass es ernst ist. Dass man uns für Verräter hält. Dass uns der Sphärenbund, der uns gezeugt, von der ersten Zellteilung an aufgezogen, ausgebildet und behütet hat, nun plötzlich töten will.
    Meine Hände sortieren alte, kostbare Plastikfunde; mein Kopf sortiert

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