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Die Verratenen

Die Verratenen

Titel: Die Verratenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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ist verletzt, wir mussten ihn warm halten. Aber ich verstehe, dass Sie aufgebracht sind. Wir wollten Maia nicht berauben. Wir hätten versucht, ihr zu helfen, wenn sie noch am Leben gewesen wäre.«
    Der mit der Keule in der Hand gibt ein Schnauben von sich. »Lügen kann die Zunge kosten, Diebin.«
    »Dann muss ich mir keine Sorgen machen«, gebe ich ruhig zurück. »Ich habe nicht gelogen. Und auch nicht gestohlen.«
    Der Keulenträger mustert erst mich, dann Aureljo, er nimmt sich Zeit dafür. Wechselt Blicke mit dem Dunkelhaarigen, während er gleichzeitig sehr schnelle und komplizierte Fingerbewegungen vollführt. Sein Gegenüber antwortet ihm auf die gleiche Weise.
    Sie verständigen sich mit Zeichensprache, das ist übel. Wenn ich nicht verstehe, worüber sie sich unterhalten, kann ich nicht angemessen reagieren.
    »Ihr seid Lieblinge«, stellt der Dunkelhaarige schließlich fest.
    »Was?« Meine Rückfrage kommt unbedacht und viel zu schnell, aber ich bin wirklich überzeugt, mich verhört zu haben.
    »Lieblinge«, wiederholt er. »Glaswarzenbewohner. Ausbeuter.«
    Ich hoffe, dass mein Gesicht nach wie vor freundlich konzentriert wirkt, während es in meinem Gehirn hektisch arbeitet. Glaswarzen, nennen sie so die Sphären? Und ist Lieblinge ihre Entsprechung für unser Prims? Aber warum? Wessen Lieblinge sollten wir sein?
    »Wir sind Sphärenbewohner«, erkläre ich.
    Der Dunkelhaarige nickt, den Mund verächtlich verzogen. »Wie ich sagte. Andris?«
    Hinter mir fühle ich den riesigen Schatten des Wolfsgotts eintreten. »Ja?«
    »Maias Stiefel.«
    Ein breites Lächeln huscht über die Gesichtszüge des Mannes, als er eine Axt aus dem Gürtel zieht. »Sicher.«
    In meinem Kopf überschlagen sich Bilder: der Wolfsgott, wie er Tomma die Stiefel samt Beinen nimmt und ihr Leben gleich mit.
    »Andris?«, rufe ich, noch ohne zu wissen, was ich sagen will, aber es ist das Einzige, was ich tun kann, um ihn aufzuhalten.
    Er hatte sich schon umgewendet, nun hält er inne. Dreht sich langsam zu mir. Ich kann mehr spüren als sehen, wie Aureljo sich sprungbereit macht, um sich zwischen mich und den Wolfsmann zu werfen, falls es nötig sein sollte.
    »Das Mädchen mit den Stiefeln heißt Tomma. Sie ist freundlich und sehr hilfsbereit, sie will niemandem etwas Böses. Und sie wird die Stiefel freiwillig zurückgeben.«
    Andris antwortet nicht, sieht mich nur an. Ohne Wut, auch ohne Spott. Er sieht mich an, als läge etwas in meinem Gesicht, das man erforschen müsste.
    »Ri-a«, sagt er dann gedehnt. »In Wärme aufgezogen, in Wärme gebettet und genährt. Kennst du Gerechtigkeit, Ria?«
    Die Frage kann nur eine Falle sein. Egal was ich antworte, es wird darauf hinauslaufen, dass wir immer satt waren und es immer warm hatten, während diese Prims frieren, seit sie ihren ersten Atemzug getan haben. Was können sie wollen? Unser warmes Blut als Tribut? Gegen lebenslange Kälte kann man nicht gut argumentieren.
    »Ja«, antworte ich einfach. »Ich kenne Gerechtigkeit, aber noch besser kenne ich das Gegenteil. Grausamkeit. Falschheit. Deshalb sind wir hier.«
    Das scheint den Dunkelhaarigen zu interessieren. Er stellt sich zu uns, wobei er Aureljo grob zur Seite stößt.
    Nicht wehren, flehe ich stumm, aber ich hätte mir keine Sorgen machen müssen. Aureljo begeht solche Fehler nicht, er wird die hauchdünne Gesprächsbasis, die ich aufzubauen versuche, nicht mutwillig zerstören.
    Das gilt leider nicht für den Prim mit der Keule. »Schneide ihr die Kehle durch, Sandor«, brüllt er unvermittelt. »Den Hals, aus dem nur Lügen kommen! Sie würden mit uns genau das Gleiche tun, wenn sie könnten!«
    Der Dunkelhaarige, Sandor, hebt seine gespaltene Augenbraue. »Natürlich würden sie das.« Mehr sagt er nicht.
    Es entsteht eine Pause. Nur das leise Weinen von Tomma im Nebenraum und die seltenen, trockenen Schluchzer des Jungen mit der Stirnwunde schneiden scharfe Kerben in die Stille.
    »War sie seine Freundin?«, frage ich mit einem Blick auf die Tote und den Trauernden.
    »Seine Schwester.«
    Ich verstehe. Und auch wieder nicht, denn Verwandtschaft ist für mich unbekanntes Terrain. Vermutlich empfindet man für Geschwister anders als für Freunde oder Mitzöglinge, aber genau wissen kann ich das nicht.
    Ich zwinge mich, an Lu zu denken, damit meine nächsten Worte ehrlich sind. »Ich fühle mit ihm.«
    Sandor schnaubt, dreht sich weg. »Lächerlich. Yann hat recht, belasten wir uns nicht länger mit ihnen.« Es klingt

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