Die verschollene Flotte 04 - Gearys Ehre
war es ihm alles zu viel. Seine Verantwortung, der Krieg, der so viel Leid mit sich gebracht hatte, seine Gefühle für Desjani, die er irgendwie vor ihr verbergen musste. Er musste die Dauntless nach Hause bringen, er musste den Hypernet-Schlüssel der Syndiks zurück zur Allianz bringen. Aber das war noch längst nicht alles. Die Menschen erwarteten so viel mehr von ihm. Es kam ihm vor, als müsste er unter dem Druck ertrinken, und die einzige Rettungsleine war die Hand auf seiner Schulter. Er stand auf und drehte sich zu Desjani um. »Tanya …«
»Ja«, wiederholte sie, doch er war sich nicht sicher, ob sie wusste, was er ihr nicht sagen konnte, oder ob sie es wusste und versuchte, es an sich abprallen zu lassen. »Für einen einzelnen Mann ist es eine große Last, aber Sie werden das schaffen«, erklärte sie voller Überzeugung. »Sie werden diesem Krieg ein Ende setzen, und Sie werden diese Flotte und die Allianz retten.«
Jedes Wort fühlte sich an wie ein Nagel, der in seinen Sarg geschlagen wurde. »Bei meinen Vorfahren, kommen Sie mir bitte nicht mit dieser Rede!«
»Es ist keine Rede!«, beteuerte Desjani.
»Doch, das ist es. Es ist ein Wunschtraum von dem, was ich angeblich bin und was ich angeblich alles bewerkstelligen kann.«
»Nein, das stimmt nicht. Sehen Sie sich doch nur an, was Sie bereits erreicht haben!« Desjani deutete auf das Display. »Sie können dem Ganzen ein Ende setzen. Ich kann mir vorstellen, dass es schwer sein muss, wenn man von den Lebenden Sternen für eine solche Mission auserwählt worden ist, aber Sie können das schaffen!«
»Sie haben keine Ahnung, was es bedeutet, wenn solche Erwartungen an einen gestellt werden.«
»Ich sehe, welche Auswirkungen das auf Sie hat, aber ich weiß, Sie kommen damit zurecht. Sonst wären Sie nicht auserwählt worden.«
»Vielleicht hat sich ja jemand geirrt!«, brüllte Geary sie an.
»Vielleicht bin ich gar nicht in der Lage, das ganze verdammte Universum im Alleingang zu retten!«
»Sie sind nicht allein!« Desjani war außer sich, ihr Gesicht spiegelte Hoffnung, Angst und etwas Tiefschürfenderes wider.
»So kommt es mir aber vor!« Wütend zeigte er mit einer Hand auf das Display hinter ihm. »All diese Toten, und von mir erwarten die Leute, dass ich dem ein Ende setze. Wie soll das jemandem gelingen? Ich kann das nicht!« Hatte er diesen letzten Satz jemals zu irgendwem gesagt, oder war dieser Gedanke immer nur durch seinen Kopf gegeistert, seit er gezwungen gewesen war, das Kommando über die Flotte zu übernehmen?
»Was brauchen Sie sonst noch von mir?«, fragte sie verzweifelt. »Natürlich benötigen Sie Hilfe und Unterstützung. Sagen Sie mir, was es ist, und Sie bekommen es. Ich werde alles für Sie tun!« Entsetzt sah sie Geary an, als ihr bewusst wurde, welche Worte ihr da soeben über die Lippen gekommen waren.
Ihre Verzweiflung verflüchtigte sich, als Geary sie anstarrte.
Etwas, das bislang im Verborgenen geruht hatte, war jetzt zumindest teilweise enthüllt worden. »Alles?«
»Ich wollte nicht…« Sie schluckte und zwang sich zur Ruhe, ehe sie weiterredete. »Ich weiß, damit habe ich meine Ehre verspielt.«
»Hören Sie auf, Tanya, Sie haben mehr als genug Ehre.«
»Eine ehrbare Frau würde nicht so für ihren vorgesetzten Offizier empfinden! Und sie würde es schon gar nicht ausspre-chen. Sie wäre nicht bereit…« Desjani verschluckte den Rest und sah Geary mit aufgeregter Miene an.
Er konnte sie haben, jetzt und hier. Er musste es nur sagen.
Geary schaute auf seine Hände und dachte an den Preis, den so viele andere bereits hatten zahlen müssen. Er war bereit gewesen, Victoria Rione zu benutzen, als sie sich ihm hinge-geben hatte, denn sie hatte ihn ebenso benutzt. Aber so etwas konnte er Tanya Desjani nicht antun. Auch wenn sie selbst und so ziemlich jeder andere es ihm nachsehen und es damit rechtfertigen würden, dass er der Held war, der aus der Vergangenheit zu ihnen geschickt worden war, konnte er ihr so etwas nicht antun. Allein bei dem Gedanken daran sträubte sich alles in ihm. Und das machte ihm mehr als alles andere deutlich, dass seine Gefühle für sie echt waren, dass er nicht nur eine Zuflucht suchte, wenn der Sturm der Verantwortung zu viel für ihn wurde. »Ich werde Ihnen nicht Ihre Ehre nehmen«, flüsterte er.
»Die haben Sie bereits«, gab Desjani in gequältem Tonfall zurück.
»Nein, ich nehme nichts von Ihnen, was Sie mir nicht freiwillig geben wollen.«
»Sie wurde Ihnen
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