Die verschollene Flotte 04 - Gearys Ehre
Ich tat das, weil viele andere auf mich zählten. Weiter nichts.«
»Und er musste ganz genauso handeln.« Sie nickte bestätigend. »Dafür muss man schon ein Held sein, Sir.«
»Nein, das muss man nicht.« Geary zuckte mit den Schultern und spürte, wie sich ein alter Schmerz regte, als er an den Tod seines ehemaligen Schiffes vor einhundert Jahren und an die Trauer um den Verlust so vieler Schiffe dieser Flotte denken musste, die sich alle in der gleichen hoffnungslosen Position befunden hatten. »Es ist purer Zufall, ob man in eine solche Situation gerät oder nicht.«
»Mag sein.« Desjani warf ihm einen ernsten Blick zu. »Aber wie sich jemand verhält, der sich in dieser Situation befindet, das hat mit Zufall nichts zu tun, Sir. Er trifft dann eine Entscheidung, so wie es jeder von uns macht. Diese Entscheidungen bestimmen, wer wir sind. Ich weiß, Sie hören das nicht gern, aber Sie sind ein Held, Sir. Wären Sie das nicht, dann hätten die Leute Sie längst durchschaut.«
»Ich bin ein Mensch, Tanya.«
»Ja, natürlich. Und das macht Sie doch zum Helden. Menschen fürchten sich vor Tod und Schmerz, und wenn wir diese Angst überwinden, um andere zu beschützen, dann haben wir etwas geleistet, worauf wir stolz sein können.«
Verdutzt ging Geary ein paar Schritte weit, ehe er erwiderte:
»So habe ich das noch nie gesehen. Sie können wirklich gut mit Worten umgehen, wissen Sie das? Kein Wunder, dass Ihr Onkel Sie in seiner Literaturagentur haben wollte.«
Sie sah zu Boden und lächelte wehmütig. »Mein Schicksal lag inmitten der Sterne, Captain Geary. Ich glaube, so habe ich immer schon empfunden.«
»Irgendeine Ahnung, wieso?«
»Nein. Aber die Sterne haben mich stets zu sich gerufen. Es ist eigenartig, dass ich als kleines Mädchen in die grenzenlose Leere des Weltalls geblickt und bereits damals daran geglaubt habe, dort das zu finden, was für mich wirklich wichtig ist.
Aber so habe ich schon immer empfunden.«
»Die Dauntless?«, neckte Geary sie. »Ich merke Ihnen an, wie sehr es Ihnen gefällt, auf der Brücke eines Schlachtkreuzers zu stehen.«
Desjani begann zu lachen, was so selten vorkam, dass Geary sich nicht sicher war, ob er sie je zuvor einmal hatte lachen hören. »Das will ich nicht hoffen! Aber so sehr ich die Daunt-
less auch verehre, sind Schlachtkreuzer doch für jeden Captain eine sehr anspruchsvolle Königin. Und die Beziehung ist sehr einseitig, wie Sie wissen. Ich hatte auf etwas Ausgewoge-neres gehofft.« Sie lächelte immer noch, und gegen seinen Willen begann er zu überlegen, wie eine solche Beziehung zu Desjani wohl sein würde. Aber er konnte sich das nicht leisten, und sie konnte es ebenfalls nicht, also gingen sie weiter durch den Korridor und wechselten zu einem ungefährliche-ren Thema wie den jüngsten Verbesserungen an den Zieler-fassungssystemen der Höllenspeere.
Als er sein Quartier betrat, musste er zu seinem Erstaunen feststellen, dass Rione trotz der fortgeschrittenen Uhrzeit zu ihm gekommen war. Sie stand vor dem Sternendisplay, als würde sie es schon seit einer Weile betrachten. »Stimmt was nicht?«
»Woher soll ich das wissen?«, gab sie zurück. »Ich bin nur deine ehemalige Geliebte. Du hast mit ihr gesprochen.«
Geary zog die Brauen zusammen. »Du redest von Captain Desjani? Sie ist Captain meines Flaggschiffs und …«
»Ihr habt euch nicht nur über eure geliebte Flotte unterhalten«, fiel Rione ihm ins Wort, klang diesmal aber nicht wütend, sondern niedergeschlagen.
»Zwischen uns wird nie etwas sein, Victoria. Du weißt ganz genau, warum zwischen Tanya Desjani und mir nichts sein kann.«
Eine Weile schaute sie zur Seite, dann sah sie Geary mit ausdrucksloser Miene an. »Zwischen euch ist längst etwas. Nichts Körperliches, nein. Keine unziemlichen Handlungen irgendwelcher Art. Das gebe ich unumwunden zu. Dazu würde sich keiner von euch hinreißen lassen. Aber gefühlsmäßig seid ihr eng miteinander verbunden, und das geht weit über das Dienstliche hinaus. Du weißt, dass das stimmt, John Geary.«
Sie atmete langsam aus und blickte abermals zur Seite. »Ich werde niemals die zweite Wahl für einen Mann sein.«
Er überlegte, was er darauf erwidern sollte. »Ich dachte nicht…«
»Nein, natürlich nicht. Ich habe dir ja auch nie signalisiert, ich könnte an mehr interessiert sein als an der körperlichen Beziehung, die wir hin und wieder genossen haben. Aber eine starke Frau braucht einen starken Mann an ihrer Seite, und ich
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