Die verschollene Karawane
inzwischen gefunden zu haben, wonach er suchte. »Die Spur dieses ruhmreichen Königs Lalibela und seiner treuen christlichen Glaubensbrüder und Helfer aus Jerusalem verliert sich in jenen dunklen Jahrhunderten unseres Kontinents, in denen eines der ersten christlichen Königreiche des Universums, das von Aksum, unterging und das Wort Gottes nur noch als Echo vergangener Zeiten über die Berge und Täler unseres Landes hallte. Stattdessen drangen aus den Kehlen der Ungläubigen, die unter der grünen Fahne ihres Propheten wie Heuschrecken über unser Land herfielen, schrille Allahu-Akbar-Schreie bis zu den mächtigen Steinsäulen von Aksum, brachen sich an den Felsenhängen von Lalibela und verwandelten die Fluten des heiligen Nils in einen blutgetränkten Strom der Verzweiflung für alle christlichen Völker zwischen Nubien und den Ländern der Zagwe-Dynastien. Dann, so steht es hier im Buch der Wunder geschrieben, eilte plötzlich die Kunde von Männern auf Schiffen durch das Land, deren riesige Segel dasselbe rote Kreuz wie das der rotschöpfigen Ferendschis aus Jerusalem trugen. Diese Fremden schützten ihre Brust durch Lederharnische, hatten Federn auf den Köpfen und Rohre aus Eisen, aus denen der Tod mit Getöse und Qualm hervorbrach. Die Fremden kamen aus der aufgehenden Sonne, erkundigten sich nach dem Presbyter Johannes und fragten, wo seine Heere stünden und wie viele an der Zahl es seien. Noch während diese Fremden unsere Gäste waren, brachten Karawanen, die aus den Ländern der untergehenden Sonne quer durch das Meer aus Sand zu uns kamen, die Nachricht, dass noch mehr Männer mit denselben Federn auf den Köpfen und demselben Kreuz auf den Segeln ihrer Schiffe jenes ferne Meer, in das die Sonne sich nächtens bettet, durchkreuzten und überall verlauten ließen, dass der Apostel Johannes aus seinem Grab auferstanden sei, um die Heere der Gläubigen gegen die Ungläubigen zu führen und die Hure Babylon auszumerzen.«
Peter signalisierte Seyoum, dass er Fragen habe. Bis hierhin hatte er der mystischen Geschichte problemlos folgen können. Offenbar wurde von den Portugiesen erzählt, die einerseits über den Indischen Ozean nach Ostafrika und andererseits von der Westküste Afrikas über den Gambia-Fluss ins Innere des afrikanischen Kontinents vorgedrungen waren. Obwohl der zeitliche Ablauf dieser Erzählungen nicht ganz mit den ihm bekannten historischen Fakten übereinstimmte, so trafen sie im Kern doch zu.
Der alte Mönch reagierte ein wenig ungehalten auf die Unterbrechung. Es schien, als sei auch er von den Schilderungen im Buch der Wunder fasziniert. Der Greis senkte seinen Kopf und lauschte mit geschlossenen Augen den Fragen Peters.
»Sieh mir bitte nach, wenn ich solche Fragen stelle. Aber ich verstehe diese Sache mit dem Apostel Johannes, der aus dem Grab emporstieg, nicht. Ist da nicht Jesus gemeint? Wer oder was ist die Hure Babylon?«
Ein Anflug von Arroganz legte sich über das Gesicht des Greises. »Die Hure Babylon ist eine der biblischen Allegorien für die Gegner der Gläubigen. Gemeint sind also die moslemischen Heere! Und was die andere Frage betrifft: Du solltest bei der Suche nach jenen Wahrheiten, die dich umtreiben, wissen, dass der Apostel Johannes in frühen christlichen Überlieferungen als Presbyter Johannes bezeichnet wurde. In zwei der neutestamentlichen Texte bezeichnet er sich selbst als Presbyter. Die apokryphen Johannes-Akten besagen außerdem, dass der Apostel Johannes sich zwar in sein Grab legte, aber nicht starb, denn er war von Jesus dazu auserkoren, bis zur Wiederkehr Christi unerkannt auf der Welt umherzuwandeln, um dann gemeinsam mit dem Messias die paradiesischen Zustände des himmlischen Jerusalem auf ewig herzustellen. Wie du wahrscheinlich auch nicht weißt, war dieser Johannes der Verfasser der Apokalypse, in der das Jüngste Gericht gegen die Feinde Gottes verkündet wird! Das solltest du aber wissen. Denn jene Männer unter den weißen Segeln mit dem roten Kreuz ließen damals verlauten, dass ein apokalyptischer Erlöserkönig, der sich Presbyter Johannes nennt, gekommen sei, um das Christentum von der Knute der Horden mit den grünen Fahnen ihres Propheten zu befreien. Sie, diese Fremden unter den weißen Segeln, so sagt es das Buch der Wunder, hatten das Unbekannte durchquert, um den erhabenen Presbyter Johannes bei uns zu suchen, um gemeinsam mit seinen Heerscharen die Ungläubigen aus Jerusalem zu vertreiben. So steht es geschrieben!«
Der
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