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Die verschollene Karawane

Titel: Die verschollene Karawane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Ackermann
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erschweren.
    »Ist es nicht etwas ungewöhnlich, dass ein Glaubensbruder, der – freiwillig oder auch unfreiwillig – den Orden verlassen hat, gelegentlich zu Exerzitien ins Kloster zurückkehrt?«
    Der Prior schluckte verunsichert. Bevor er antworten konnte, wechselte Commissario Toscanelli das Thema. Er ahnte, dass es da Dinge gab, über die der Prior entweder nicht sprechen wollte oder nicht durfte. »Wie viele Mönche befinden sich eigentlich hier in San Francesco del Deserto«, fragte er.
    »Sechs Brüder. Nur noch sechs. Leider können sich immer weniger junge Menschen für ein gottergebenes Leben entscheiden«, versuchte der Prior unbedarft zu wirken. Es gelang ihm jedoch nicht.
    Der Commissario blieb beharrlich: »Und alle sechs waren zum Zeitpunkt des Mordes, also gestern am späten Nachmittag, hier im Kloster – und sind es noch immer? War sonst noch jemand zum Tatzeitpunkt, also schätzen wir mal so zwischen fünf und sieben Uhr gestern, hier?«
    Der Prior antwortete unerwartet schnell. »Eine Besuchergruppe war da. Sie kamen kurz vor fünf mit dem Taxiboot. Und sie sind gegen halb sieben wieder abgereist. Es waren friedfertige, gottesfürchtige Menschen aus Frankreich, Mitbrüder aus einem Kloster in der Bretagne, die sich in Venedig zu einem Kongress aufhalten.«
    Commissario Toscanelli riss erstaunt die Augen auf. »Franziskanermönche?«
    »Ja, es waren Mitbrüder unseres Ordens. Derzeit findet in Venedig ein ökumenischer Konvent verschiedener Orden statt. Hunderte von Mitbrüdern aus aller Welt halten sich in der Stadt auf. Viele von ihnen nutzen in diesen Tagen die Gelegenheit, hier auf der Insel dem heiligen Franz von Assisi zu huldigen. Er hat diesen Orden und dieses Kloster gegründet!«
    »Und wie viele Mitbrüder waren zur Tatzeit letztendlich hier?«
    »Dreizehn, Commissario. Es war die letzte Gruppe des Tages. Insgesamt waren es fünf Gruppen.«
    Der Commissario zwang sich, Ruhe zu bewahren: »Pater, bei allem Respekt, verzeihen Sie mir bitte meine weltlichen und für Sie sicherlich unangenehmen Fragen. Aber hier geht es um die Aufklärung eines Verbrechens! Wenn ich das richtig verstanden habe, befanden sich zur Tatzeit also dreizehn Franziskanermönche im Kloster beziehungsweise auf der Insel. Dreizehn, richtig? Und dazu noch Ihre fünf Mitbrüder – und Sie?«
    »Ja, so war es wohl.«
    Der Commissario spürte die Verunsicherung des Priors. Nochmals warf er einen Blick in die Nische, in der die Leiche lag. Hinter der etwa ein Meter hohen Statue des heiligen Franziskus registrierte er in der linken Mauer eine Tür, die durch ein mächtiges Eisengitter verschlossen war. Die Scharniere befanden sich auf der Innenseite der Nische, sodass die Tür von der anderen Seite aus geöffnet werden musste.
    »Wohin führt diese Gittertür?«, fragte er und sah, wie der Mönch zitterte, während er antwortete: »Sie… sie führt in die privaten Gemächer dieses Klosters.«
    »Das heißt, jeder der hier lebenden Mönche hat von den privaten Räumlichkeiten aus Zugang zu dieser Nische?«
    Der Prior wurde noch nervöser. »Commissario, Sie glauben doch nicht etwa, dass einer der hier lebenden Brüder…?« Der Mönch vermied es, den Gedanken auszusprechen. Stattdessen bekreuzigte er sich.
    »Ich glaube derzeit noch gar nichts«, versuchte Commissario Toscanelli die auch ihm peinliche Situation zu entschärfen. »Ich resümiere lediglich. Vor uns liegt ein Toter. Alles spricht dafür, dass der Mann ermordet wurde. Zur Tatzeit, also gestern am späten Nachmittag, hatte eine Besuchergruppe Zugang zu dieser Nische und das waren gemäß Ihrer Aussage alles Mönche. Und: Durch diese Gittertür in der Nische hat man ebenfalls Zugang zum Tatort! Hinter dieser Gittertür leben die Mönche dieses Klosters. Das sind Fakten, an denen nicht zu rütteln ist.«
    Commissario Toscanelli drehte sich zur Seite und schaute den auffällig schweigsamen, dafür aber sichtlich nervösen jungen Mönch an. Auf dessen Nasenrücken waren die typischen Druckstellen eines Brillenträgers zu sehen. Aber Pater Giovanni trug keine Brille. Verunsichert steckte der junge Pater seine rechte Hand in die Tasche der Kutte. Durch das Tuch hindurch war zu sehen, dass er etwas umklammerte. Der Commissario dachte kurz daran, den jungen Mönch sofort zur Rede zu stellen, denn er hatte gleich zu Beginn des Gesprächs entdeckt, dass am linken Zeigefinger des Mönches winzige rote Flecken, wahrscheinlich Blut, zu sehen waren. Und auf dem Fußboden

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