Die verschollene Karawane
Hotel Sofitel liegt in unmittelbarer Nähe. Und der Teint des Festgenommenen war auffallend braun, weil er unlängst mehrere Wochen in Afrika war. Fast schwarze Haare hat er auch. Der geht schnell mal als Araber oder als ein Mann südlicher Herkunft durch – «
Der Commissario unterbrach ihn. »Und Sie, Gianfranco, Sie, ein Mann mit mehr als zwanzig Jahren Berufserfahrung, halten es für möglich, dass ein Täter faktisch zwei Tage lang in ein und derselben Kleidung herumläuft? Sie halten es für möglich, dass ein Mörder sich seelenruhig mit einer Frau turtelnd vor eine Bar setzt, nachdem er tags zuvor zwei Menschen umgebracht hat? Sie halten das wirklich für denkbar?« Bevor der Einsatzleiter antworten konnte, stand Commissario Toscanelli auf, signalisierte seinem Assistenten Pietro, ihm zu folgen, und verließ das Büro. Auf dem Flur dachte er nach. Die Situation war mehr als unangenehm. Es bestand so gut wie keine Chance, der Presse dieses Missgeschick vorzuenthalten. Die spektakuläre Festnahme vor der Bar am Canale Tolentini hatte für so viel Aufsehen gesorgt, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die Presse Fragen stellen würde. Das Schlimmste, was außerdem passieren konnte, war, dass der festgenommene Deutsche und seine Freundin an die Öffentlichkeit gehen würden. Damit würde wahrscheinlich die letzte Chance, den wirklichen Täter zu fassen, zunichtegemacht werden. Immerhin war es nicht auszuschließen, dass der Täter noch in der Stadt war. Eine kleine Chance, ihn dingfest zu machen, bestand noch. Aber dafür musste man sich der Verschwiegenheit der beiden in seinem Büro sicher sein können. »Seien Sie extrem nett zu den beiden, Pietro«, flüsterte er vor der Tür seines Büros, »die da drinnen haben keine besonders hohe Meinung von der venezianischen Polizei. Und das zu Recht!«
Als sich die Bürotür öffnete, tupfte Peter Föllmer gerade mit einem Papiertaschentuch die noch leicht blutende Schürfwunde seiner Freundin ab, die sie sich während des Zugriffs der Polizei zugezogen hatte. Yvonne Steimer schaute den eintretenden Commissario und dessen Assistenten verächtlich an. Ihre linke Schulter schmerzte, und der Schock über das, was vor zwei Stunden geschehen war, saß tief. Noch nie in ihrem Leben hatte sie in die Mündung einer Waffe geschaut. Kaum, dass sie samt Stuhl umgestürzt und auf dem Rücken zum Liegen gekommen war, hatte sich eine Frau mit kurzen Haaren auf sie geworfen und ihr die Pistole so Furcht erregend nahe vor den Kopf gehalten, dass sie geglaubt hatte, sterben zu müssen. Dass zwei Männer, einer von ihnen mit einem unglaublich kantigen Schädel, den gestürzten Peter ebenfalls mit Waffen bedroht hatten, war dann zu viel für sie gewesen. Sie hatte das Bewusstsein verloren und war erst in einem Ambulanzwagen wieder zu sich gekommen. Neben ihr war ein Beamten in Uniform gesessen, und sie hatten angefangen zu ahnen, dass sie nicht von Verbrechern, sondern von Polizisten überfallen worden waren. Im Polizeipräsidium hatte sich dann auch schnell herausgestellt, dass es sich bei dem brutalen Zugriff um ein Missverständnis gehandelt hatte. Einerseits konnten Peter und sie anhand ihrer Flugtickets und Bordkarten nachweisen, dass sie zur Tatzeit noch nicht in Venedig gewesen waren. Andererseits hatte die Fahrscheinkontrolleurin eines Vaporettos bei einer Gegenüberstellung zweifelsfrei erklärt, dass Peter nicht der gesuchte Mann sei. Wobei weder Peter noch sie wussten, wer eigentlich gesucht wurde. Der Commissario hatte sich zwar mehrfach für das Missgeschick entschuldigt. Aber um was es wirklich ging, hatte man ihnen nicht gesagt. Das empfand sie als ungerecht. Wenn sie schon wie eine Kriminelle behandelt wurde, dann wollte sie zumindest wissen, mit wem Peter da verwechselt worden war. »Commissario – «, wollte sie ihren Unmut erneut kundtun, als Peter sie abrupt mit sehr ernster Stimme unterbrach.
Er saß am Schreibtisch und hantierte an seiner Digitalkamera herum, die man ihnen nebst ihren anderen persönlichen Gegenständen wieder zurückgegeben hatte. »Sie sagten, Commissario, dass sie mich mit einem Mann verwechselt haben, der mir ähnelt – zumindest in der Statur und in der Kleidung. Ist das richtig?«
Commissario Toscanelli hatte noch nicht Platz genommen. Er blieb mitten im Raum stehen. Der Unterton in den Worten des gut Englisch sprechenden Deutschen ließ ihn aufmerken. »Das ist richtig, Signore Föllmer. Wir haben eine sehr gute Beschreibung von
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