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Die verschollene Karawane

Titel: Die verschollene Karawane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rolf Ackermann
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Fragen, die einen direkten Bezug zu dem Inhalt der Päckchen hatten. Charles, darüber war sie sich schnell klar geworden, hatte Angst. Große Angst. Vor wem und warum, würde sie nun wohl nie mehr erfahren. Denn Charles war tot.
    »Excuse me«, sprach sie einen ihr gegenübersitzenden jungen Mann an, der sie schon die ganze Zeit unverhohlen anstarrte. »Do you speak English or Portuguese? Können Sie mir sagen, was in diesem Artikel steht«, fragte sie und hielt dem Mann die Zeitung entgegen. Der etwa Fünfundzwanzigjährige antwortete in akzentfreiem Englisch: »Ja, natürlich. Ich spreche Englisch. Wie kann ich Ihnen helfen? Woher sind Sie, wenn ich fragen darf?«
    »Ich komme aus Lissabon«, antwortete Jahzara und vermied es, ihre wahre Herkunft zum Gesprächsthema werden zu lassen. Sie war diese penetranten Fragen gewohnt und ging ihnen aus dem Weg. Ihr exotisches Aussehen und ihre Attraktivität ließen besonders Männer in Europa sehr einfallsreich werden, um mehr über sie zu erfahren. Die wenigsten von ihnen kamen auf die Idee, dass sie aus Äthiopien stammte.
    Ohne auf seine Frage einzugehen, lächelte sie zurück und deutete dezent auf den Artikel in der Zeitung. Gebannt starrte sie den Mann an, der die wenigen Zeilen auf der Titelseite überflog und dabei entsetzt das Gesicht verzog. Er blätterte einige Seiten weiter und las einen weiteren Artikel. Dann atmetet er tief durch, bevor er antwortete: »Allmächtiger! Das ist ja grauenhaft! Ein ehemaliger Mönch wurde im Kloster San Francesco del Deserto umgebracht. Und nur wenige Kilometer entfernt von hier, in Murano, wurde ein weiterer Mönch tot aufgefunden. Einer aus demselben Kloster. Auch er wurde wahrscheinlich ermordet. Wirklich schlimm! Und so etwas in dieser Stadt.«
    Abrupt stand Jahzara auf, bedankte sich bei dem jungen Mann und ging schnellen Schrittes zum Bug des Schiffes, um weiteren Fragen auszuweichen. Plötzlich hatte sie grenzenlose Angst. Panisch schaute sie sich um. Schon seit Tagen konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, beobachtet zu werden. Heute glaubte sie die Nähe eines Verfolgers geradezu zu spüren. Vielleicht lag dieses Gefühl aber auch nur an der Brisanz der Unterlagen, die sie vorgestern von dem blinden Gitarristen am Campo San Rocco im Namen von Charles erhalten hatte. Diese geheimnisvolle Übergabe hatte sie aufs Neue in der Erkenntnis bestärkt, dass Charles im Besitz von kompromittierenden Dokumenten war, die den Vatikan in peinliche Erklärungsnöte bringen und die Christen der Welt schockieren würden. Der nette Musiker hatte ihr schließlich mitgeteilt, dass Charles sie heute Mittag um zwei Uhr an der Anlegestelle des Vaporettos in Burano erwarten würde. Und nun war er tot!
    Bestimmt war es besser, Venedig bald zu verlassen. Panisch überflog sie den Stadtplan in ihrer Hand. Mit der Linie N würde sie zurück zur Stadt und dann mit der Linie 43 weiter zu ihrem Hotel nahe der Ponte di Rita kommen. Zuvor musste sie allerdings noch etwas erledigen. Eines der Dokumente, das Charles ihr hatte zukommen lassen, verwies auf das Museo Storico Navale, nur eine Haltestelle von der Pizza San Marco entfernt. Sie musste dorthin. Unbedingt! Wenn sie das portugiesische Dokument aus dem 15. Jahrhundert richtig gedeutet hatte, lagen dort Zeugnisse, die vieles beweisen würden. Ohne diese Beweise würde ihr niemand Glauben schenken. Das Unglaubliche würde belächelt, ihre Thesen für verrückt erklärt werden. Ihr Professor würde die Dissertation nicht mal entgegennehmen, wenn sie solch schwere Anschuldigungen gegen die römisch-katholische Kirche, gegen den Papst, nicht beweisen konnte. Sie musste dorthin. Auch wenn sie Angst hatte. Angst vor einem unsichtbaren Verfolger – und vor dem, was ihre sensationelle Entdeckung weltweit bewirken würde. Sie ahnte, dass sich ihr Leben bald radikal ändern würde.
    Es dauerte fast eine Stunde, bis sie endlich die Haltestelle San Zaccaria erreichte. Sie hatte sich verfahren, hatte versehentlich jenes Vaporetto der Linie 43 genommen, das entgegen dem Uhrzeigersinn um die Altstadt von Venedig herumfuhr. Die ungewollte Bootstour durch die schönsten Kanäle, vorbei an prächtigen Palästen und unter der [{([{([{([{(Rialto-Brücke)}] Rialtobrücke)}] Rialtobrücke)}] Rialtobrücke)}] Rialtobrücke hindurch, hatte ihre Nerven übermäßig strapaziert. In Höhe des Yachthafens vor der mächtigen Kuppel der Kirche San Georgio Maggiore hatten grauenhafte Kopfschmerzen begonnen, sie zu quälen.

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