Die verschollene Karawane
sich. Ein kurzes Aufblitzen in seinen Augen verriet ihr, dass er spürte, dass sie gelogen hatte. Er kannte sie zu gut. Was er spürte, war für sie Gewissheit. Da war tatsächlich etwas auf der Karte zu sehen. Nicht wirklich viel. Aber zusammen mit Peters Überlegung, dass auf seiner geheimnisvollen Karte der afrikanische Kontinent abgebildet war, ergaben die Wachsfragmente mit dem daran hafteten Kaffeepulver Sinn. Von den Umrissen des Kontinents war zwar kaum mehr was zu erkennen, dennoch sagten die Fragmente ihr, dass es um Afrika ging.
Eine Linie zog sich im Zickzackkurs quer über das Blatt, von Ostafrika westwärts bis zum Zentrum des Kontinents. Dort, wo die Linie offenbar endete, nahe einem Bogen, der wahrscheinlich eine Flussbiegung darstellte, waren auf dem Blatt die Wachsfragmente von sechs seltsamen Schriftzeichen zu sehen. Sie nahm an, dass es sabäische Buchstaben waren. Der erste der Buchstaben, der wie zwei übereinander angeordnete Dreiecke aussah, ließ erahnen, dass es der Buchstabe M war. Der zweite und die beiden letzten Buchstaben waren nicht mehr zu identifizieren. Die zwei in der Mitte ähnelten auf dem Kopf stehenden dreizackigen Gabeln, weshalb Yvonne vermutete, dass es ein doppeltes sabäisches SS war. Also konnte dort »M.SS.« geschrieben stehen. Doch mehr als eine Vermutung war das nicht. Unterhalb dieser Schriftzeichen standen klar und deutlich in lateinischen Buchstaben die Begriffe »IDA« und »ELENI«. Was sie bedeuteten, wusste sie nicht, und doch war sie grenzenlos nervös. Für sie stand fest, dass auf dieser Karte eine Route eingezeichnet war, die zu einem bestimmten Punkt in der Sahara führte. Dort musste etwas verborgen sein, das Charles Bahri und einem Mönch das Leben gekostet hatte. Und Peter beinahe auch.
Yvonne sah, wie Peter aufstand und langsam auf den Schreibtisch zukam. Fragend schaute er abwechselnd auf sie und auf die Karte.
»Signore Föllmer, Sie werden Verständnis dafür haben, dass ich Ihnen einen Blick auf diese Karte verwehren muss. Es ist ein polizeiliches Beweismittel.« Die Worte von Commissario Toscanelli hallten wie ein Befehl durch den Raum und stoppten Peter kurz vor dem Schreibtisch. Im Zimmer herrschte extreme Anspannung. Yvonne schluckte verlegen. Der Kriminaltechniker griff, irritiert von den Worten des Commissarios, blitzschnell nach der Karte und steckte sie hastig zurück in die Plastikfolie.
Eine Viertelstunde später verließen Yvonne Steimer und Peter Föllmer das Polizeipräsidium. Wortlos schritten sie durch die Gassen, bis Peter auf einer Brücke nahe der Kirche San Francesco della Vigna abrupt stehen blieb. Er schaute ihr direkt in die Augen. Sie konnte erkennen, dass er nicht mit ihr streiten wollte, dennoch schien er verärgert. »Können wir uns jetzt mal wie zwei erwachsene Menschen benehmen? Das ist ja nicht mehr auszuhalten! Ich weiß doch ganz genau, dass du auf dieser Karte mehr gesehen hast, als du dem Kommissar gesagt hast.«
Yvonne überlegte angestrengt. Suchte Peter die Versöhnung oder wollte er nur herausfinden, was sie wusste? Sie zwang sich zur Ruhe: »Findest du nicht auch, dass wir uns erst mal umarmen sollten? Komm, lass uns diese blöde Sache vergessen. Du hast mir wehgetan, als du diese afrikanische Schönheit fotografiert hast. Und ich habe überreagiert. Lass uns wegen so einer Lappalie nicht alles andere infrage stellen.«
Yvonne schmiegte sich an ihn und umarmte ihn. Sie spürte den Widerstand in seinem Körper.
Seine Worte zerstörten ihre Hoffnungen: »Es ist sinnlos, Yvonne, wenn wir uns in regelmäßigen Abständen wegen ein und derselben Sache streiten, um uns dann wieder zu versöhnen. Wir haben ein grundsätzliches Problem. Und du weißt, dass dieses Problem bei dir angesiedelt ist. Du ignorierst gewisse Tatsachen, verdrängst, was ich immer gesagt habe. Du lebst anscheinend nach wie vor in der Hoffnung, dass sich meine Einstellung im Lauf der Zeit wandeln wird. Aber das wird nicht der Fall sein, Yvi! Du willst mehr, als ich dir geben kann. Damit zerstörst du, was uns verbindet. Und das ist sehr viel. Aber ich denke, darüber sollten wir später reden. Ganz in Ruhe, ja?«
Yvonne fühlte, wie sich ihre Beziehung in diesem Moment veränderte. Angestrengt überlegte sie. Sollte sie ihr Wissen über die Zeichen auf der Karte nutzen? Ja, sie könnte auf diesem Wege sicherstellen, dass er weiterhin ihre Nähe suchte, sie brauchte.
Seine Worte unterbrachen ihre Überlegungen. »Mach jetzt nicht den
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