Die verschollene Karawane
Route passenden Mosaik von Luftbildaufnahmen zusammengefügt hatte. Nach kurzer Zeit baute sich auf dem Bildschirm ein gestochen scharfes Bild auf.
»Wow! Das ist allererste Sahne!«, rief Peter aus und starrte fasziniert auf das vollbrachte Werk. »Jungs, wir sind Weltklasse. Teamwork in Perfektion.«
Jens legte ein Raster aus Längen- und Breitengraden über das Bild und zoomte das Endprodukt an der Stelle heran, wo die vermutete Route in Nordostafrika begann. Dann gab er die ungefähren Koordinaten – zwölf Grad, 36 Minuten Nord und 37 Grad, 28 Minuten Ost – in die Suchmaske ein. Die Umrisse des afrikanischen Kontinents erschienen auf dem Bildschirm. Ein See tauchte auf. Aus der Satellitenperspektive waren Gebirge, Flüsse, Straßen und Ansiedlungen zu sehen. Einige der Aufnahmen waren so gestochen scharf, dass Autos und Menschen zu erkennen waren.
»Yeeep! Ein Hoch auf die Technik! Und auf uns!«, jubelte Jens. »Das da, liebe Leute, ist der Tanasee im Nordosten von Äthiopien. Das viel gepriesene Dach Afrikas. Da gibt es 4000 Meter hohe Berge. Der Tanasee ist keineswegs ein Tümpel. Das ist ein kleines Meer. Schätzungsweise 80 Kilometer lang und fast 70 Kilometer breit. Er gehört, wie auch die anderen großen Seen Nord- und Ostafrikas, zum ostafrikanischen Grabenbruch. Am Tanasee entspringt der Blaue Nil und strömt dann westwärts, bis er in der sudanesischen Hauptstadt Khartum in den Weißen Nil mündet. Und eins ist klar: Wo so ein großer Fluss seinen Weg findet, gibt es auch einen Weg für Menschen – für Karawanen. Auf diesen Karawanenrouten wurden über Jahrhunderte Elfenbein, Gold, Edelsteine, aber auch Sklaven quer durch Afrika transportiert. Würde mich nicht wundern, wenn Charles auf eine alte, kaum bekannte Karawanenroute hinweisen wollte.«
Wie elektrisiert horchte Peter bei diesen Stichworten auf: Gold, Edelsteine, Elfenbein. Er erinnerte sich an die fantastisch anmutenden Passagen aus dem Brief, in dem es um hundsköpfige Menschen, Giganten, Zyklopen und um unvorstellbare Schätze ging. Aufgeregt wühlte er in seinen Unterlagen und zog schließlich den Brief hervor.
»Hört mal zu, Leute. Was hier geschrieben steht, liest sich wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht: ›An Gold und Silber und Edelsteinen haben unsere Hoheit Überfluss… unter dem Übrigen, was sich wunderbarerweise in unserem Land befindet, ist ein sandiges Meer ohne Wasser -‹«
Markus unterbrach ihn. »Ach ja, das hätte ich fast vergessen. Du hast mich doch gebeten, irgendetwas über diesen ominösen Brief herauszufinden. Ich konnte! Ein Freund von mir, seines Zeichen Religionswissenschaftler, hat die Zeilen sofort zuordnen können. Es ist ein Brief aus dem zwölften Jahrhundert, der in verschiedenen Sprachen existiert und zu den am meisten diskutierten Dokumenten der Neuzeit gehört. Verfasser dieses Werkes soll angeblich – und jetzt halte dich fest, Peter – der mysteriöse christliche Priesterkönig Johannes gewesen sein.«
Im Raum herrschte angespannte Stille. Peter konnte seine Nervosität nicht weiter unterdrücken. Seine Augen glänzten. »Wer, zum Teufel, war das nun wirklich, dieser Priesterkönig Johannes? Alles, was ich bis jetzt herausgefunden habe, deutete darauf hin, dass es eher eine Fantasiegestalt war, ein Mythos. Ich dachte, der Brief sei ein Sammelsurium aus orientalischen Märchen, christlichen Fantasien und mittelalterlichen Hirngespinsten. Jetzt hat diese vermeintliche Fantasiegestalt namens Johannes angeblich einen Brief geschrieben? Das ist ja Aberwitz!«
Markus grinste. »Aberwitz? Keineswegs. Dieser Brief, der angeblich aus dem Griechischen ins Lateinische und später in alle möglichen europäischen Sprachen übersetzt wurde, ist Gegenstand höchst kontroverser wissenschaftlicher Untersuchungen geworden. Im Original ist er viel länger. Und noch viel fantastischer. Angeblich wurde der Brief im Jahre 1165 an Kaiser Manuel I. Komnenos von Byzanz geschrieben. Es gibt allerdings auch Leute, die sagen, der Brief sei eine perfekte Fälschung, die einzig und allein das Ziel hatte, die erschlaffte Bereitschaft der Europäer für Kreuzzüge gegen die Moslems wieder mit neuem Leben zu erwecken. Quasi mit einem mächtigen Christenkönig als Verbündeten. Andere sagen, es sei sehr wohl das Original, es mangle den Wissenschaftlern der Neuzeit lediglich an geistiger Flexibilität und Fantasie, um zu glauben, was dort geschrieben steht. Denn, lieber Peter, eins hat mir mein Freund, der
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