Die Verschwörung der fetten Frauen (German Edition)
ein, dass ich Alina von der Schule abholen muss. Sechzehn Uhr! Schnell meine Sachen zusammenraffen, alles in die Handtasche, Ella ein »Tschüss« zuwerfen (sie antwortet mit einem dumpfen Ton, der wohl ebenfalls ein Tschüss sein soll, dabei sprüht ihr eine halbe Gabelladung Torte aus dem Mund), durch das Großraumbüro, über den Flur, die Treppe runter – und vor der Tür erst einmal an die Wand lehnen und verschnaufen. Meine Kondition ist miserabel, aber wieso wundert mich das eigentlich?
Die fetten Frauen
Alina schläft. Wir haben den ganzen Abend gemütlich gecoucht (O-Ton einer Siebzehnjährigen) und einen unsäglich kitschigen Liebesfilm konsumiert. Junges Mädchen trifft jungen Mann, der mit einem anderen jungen Mädchen unglücklich verlobt ist, dessen Vater mit der Mutter des jungen Mannes früher ein Verhältnis hatte, sie dann aber an den Vater des anderen jungen Mädchens... und so weiter.
Danach hat Alina gegähnt, die Füße von meinem Schoß genommen und lauthals geschworen, »so einen elenden Kack« nie, nie, niemals mehr anzugucken. »Übermorgen kommt wieder einer«, habe ich lapidar mitgeteilt. »Übermorgen? Mist, da bin ich auf Elenas Bdayparty! Kannste mir's aufnehmen?«
Alles ist ruhig, nur mein Gehirn nicht. Es arbeitet sich an einem doppelten Schuldgefühl ab, dem Kalorienexzess von heute Mittag und der immer noch ungeschriebenen Rhabarberkolumne. Ich schalte den Computer ein.
Das Internet ist eine Ansammlung von Gehirnschrott, unter dem bisweilen etwas Nützliches hervorschaut und gerettet werden möchte. Eine Idee, ein Rat, eine Inspiration. Ich frage mich seit Jahren, was die Psychopathen gemacht haben, als es noch kein Internet gab. Es können doch nicht alle in die Politik und ins Showgeschäft gegangen sein, oder?
Automatisch öffnet sich Facebook als Startseite. Nein, ich bin kein Facebookjunkie! Angemeldet habe ich mich eigentlich nur, um ein mütterliches Auge auf Alina werfen zu können, die inzwischen über 836 »Freunde« verfügt, eine Zahl, die selbst für mein sehr kommunikatives Mädchen entschieden zu hoch ist. Von Zeit zu Zeit schaue ich mir diese »Freunde« genauer an und überlege, ob der achtzehnjährige Tommy nicht vielleicht doch ein vierzigjähriger Thomas ist, der sich dank digitaler Verjüngung an meine Kleine heranpirschen möchte.
Vor drei Monaten hat mir Alina gestanden, dass sie Facebook »voll öde« findet. »Ich bin ehrlich gesagt nur noch dabei, um auf dich aufzupassen, Mum. Du glaubst ja gar nicht, wieviel Heiratsschwindler sich dort rumtreiben und ältere alleinstehende Frauen anflirten!«
Gutes Kind. Es ist immer wieder rührend, wie die Kinder ihre Eltern davor bewahren, Dummheiten zu machen.
Ich kann sie aber beruhigen. Ganze 24 Freunde (ohne Anführungszeichen!) habe ich bisher sammeln können, ehemalige Klassenkameradinnen vor allem, meine Mutter natürlich (die aber nur ins Internet geht, wenn im Fernsehen Fußball kommt und Papa unansprechbar ist), Ella, meine Freundin Margot, die jetzt in Australien lebt... garantiert kein Heiratsschwindler darunter, nicht einmal ein Fußfetischist, was so ziemlich das Mindeste sein dürfte, wie mir alle meine Freunde bestätigen.
Natürlich ist gerade niemand »on«, was bei nur 24 Freunden nicht selten vorkommt. Außerdem ist es gleich elf. Ob ich... Warum nicht! Ich tippe »Thea Braake« ins Suchfenster. Ein Treffer. Gut, dass sie nicht Gaby Müller heißt. Aha, über 600 Freunde, auch ein kommunikatives Kind. Ihr Porträtfoto ist sichtlich nicht das aktuellste, auch Frau Braake beliebt also ein wenig zu schummeln und ist nicht so uneitel wie sie sich gibt. Mal schauen, welche Seiten sie besonders mag... nun, es sind eine Menge. Ökologische-Nachhaltigkeits-Seiten, ein paar anspruchsvolle Schriftsteller, fette Frauen...
Fette Frauen? Tatsächlich, eine solche Seite existiert und Thea Braake ist nicht nur »Fan«, sie steht sogar im Impressum! Es ist also ihre Seite. Ausgerechnet! Thea Braake und fett! Vielleicht war sie betrunken und wollte eigentlich »Magere Frauen« schreiben und jetzt kann man das nicht mehr korrigieren. Immerhin mögen über 200 Personen diese Seite...
Ein Foto, »die Fetten Frauen« genannt, darauf – nichts als Frauen mit Traumfiguren! Naja, Traumfiguren! Bei der hier stoßen die Knochen erkennbar gegen die Haut und die da, die ganz links, schaut so verhungert, dass man ihr spontan ein paar Karotten spendieren möchte. Hasenzähne hat sie auch.
Die Seite scheint noch
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