Die Verschwörung der fetten Frauen (German Edition)
holen. Es macht Spaß, mit ihm zusammenzuarbeiten, vor allem dann, wenn unsere Hände gleichzeitig zur Maus greifen. Schöne warme Hände hat der Mann. Er lässt seine rechte eine Sekunde zu lange auf meiner, eine Sekunde zu lang für einen Kollegen, meine ich, aber eine Ewigkeit zu kurz für mich. Außerdem riecht er gut. Frauen finden es phantastisch, dass Männer sich rasieren müssen.
»Hast du deiner Tochter Vokabeln abgehört?« frage ich. Rasmus nickt.
»Klar doch. Nachdem sie mich über dich ausgefragt hat, natürlich. Und deine Tochter?«
»Die ist schon siebzehn und nicht mehr neugierig«, lüge ich.
»Meine schon«, gesteht Rasmus. »Sie ist fast vom Stuhl gefallen, als sie erfahren hat, dass deine Tochter ebenfalls Alina heißt. Sie will, dass sie mit achtzehn das Haus verlässt und nach Kanada auswandert.«
»Warum sollte sie ausziehen?« frage ich naiv.
»Weil...« Rasmus wird verlegen. »Weil... na ja, weil meine Alina nicht mit deiner Alina unter einem Dach wohnen möchte. Siebzehnjährige seien zickige alte Tussen, sagt sie.«
»Und wie kommt sie darauf, dass wir... unter einem Dach...«
Rasmus lacht, aber es klingt nicht sehr souverän.
»Teenager halt. Du weißt ja, was die sich so alles einbilden.«
Wir trinken unseren Kaffee aus, nebeneinander vor dem Rechner sitzend. Ich schaue mich im Büro um, Ella schielt zu uns her, irgendwie wehmütig, die Hungerbühler ignoriert uns so demonstrativ, dass sie sich bestimmt schwarz ärgert. Sein Knie berührt mein Knie. Das mit dem Blog ist überhaupt nicht schwer, man muss einfach nur schreiben und speichern und veröffentlichen, schon kann alle Welt lesen, was irgendjemand, der nicht viel zu sagen hat, zu sagen hat.
»So«, sagt Rasmus, »jetzt bist du dran. Schreib etwas Schönes gegen diese Sabine Müller.«
»Und wenn Sie Recht hat?« frage ich vorsichtig und versuche mich an einem Lächeln.
Rasmus wiegt den Kopf nachdenklich hin und her.
»Niemand hat nur Recht. Natürlich ist das mit den Essstörungen ein Argument. Andererseits: Wie sieht es mit Fettleibigkeit aus? Hast du das mit der Samoanischen Fluggesellschaft gelesen, die ihre Preise jetzt dem Körpergewicht ihrer Passagiere anpasst? Auf Samoa sind bis zu 75 Prozent der Einwohner fettleibig. Auch nicht gerade erstrebenswert.«
»Danke, das wusste ich nicht. Du hast ja journalistisches Talent! Keine Lust, meinen Job als CC zu übernehmen?«
»Lieber nicht!« wehrt Rasmus lachend ab. »Außerdem kann ich nicht so schön formulieren wie du. So, ich lasse dich mal mit deinem leeren Blog alleine. Mach was draus!«
Ich schaue ihm nach, bis er den Raum verlassen hat und seufze dann. Ella hat ihm ebenfalls nachgeschaut, die Hungerbühler sicher auch.
Augen schließen, sich vorstellen, Constanze Corzelli zu sein. Constanze, die Gnadenlose, Constanze, deren Hobby das Kalorienzählen ist, Constanze mit der Traumfigur und der ewigen Jugend. Constanze, die sich leider den Körper von Paula Pfaff ausgesucht hat.
»Liebe Leserinnen! Herzlich willkommen! Ja, ich blogge nun auch. Weil ich Ihnen nahe sein will, weil Ihre Sorgen die meinen sind.«
Hm, etwas zu dick aufgetragen? Man kann wahrscheinlich nicht dick genug auftragen. Das Internet ist wie das Gesicht einer völlig verlebten Frau. So viel Schminke, wie man bräuchte, gibt es gar nicht. Nein, ich fange noch einmal an.
»Liebe Leserinnen! Es ist immer leichter, mit als gegen den Strom zu schwimmen. Und es ist immer bequemer zu schweigen, wenn man attackiert wird, als sich zu wehren. Ich habe es mir nie leicht gemacht, das wissen Sie. Ich bin Journalistin und muss mit Gegenwind leben. Auch mit solchem, der wie ein Orkan daherkommt und in Wirklichkeit nur ein laues Lüftchen ist.
Manche Wahrheiten sind hart, das wissen wir alle. Und eine dieser Wahrheiten lautet: Wir ernähren uns falsch. Wir sind zu dick. Kennen Sie die Geschichte der samoanischen Fluggesellschaft?«
Langsam komme ich in Fahrt. Schnell die neuesten statistischen Erhebungen zur Ernährungslage in Deutschland recherchieren. Fettleibigkeit, Folgekrankheiten, Konsequenzen.
»Das sind erschreckende Zahlen, finden Sie nicht auch? Zahlen, hinter denen Schicksale stehen. Fettleibige Kinder, die leiden, aus denen fettleibige Erwachsene werden. Auch, das wollen wir nicht verschweigen, weil sich ihre Eltern nicht genug um sie kümmern. Gewiss, es gibt auch die anderen, die konträren Fälle. Kinder in der Pubertät, Mädchen vor allem, die an Bulimie erkranken. Oder ist das nur
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