Die Verschwörung der fetten Frauen (German Edition)
Wahrheit hinauszögern? Wenn wir alles gegessen, alles getrunken haben, wenn Rasmus mich fragt, ob wir noch zu ihm gehen sollen? Oder zu mir? Keine Ahnung. Ich beschließe, spontan zu sein. Ich nehme mir fest vor, spontan zu sein. Ich kann an nichts anderes mehr denken. Nicht einmal daran, wie das Eis schmeckt. Bestimmt gut, denn ich esse alles auf. Constanze meldet sich nicht, irgendetwas hat sie zum Schweigen gebracht.
Rasmus gibt dem Kellner ein Zeichen, die Rechnung bitte. Jetzt passiert es. Jetzt muss er vorschlagen, wie der Abend weitergeht.
»Oh, gleich neun. Ich muss Alina noch von einer Freundin abholen, sie haben zusammen Schulaufgaben gemacht. Das heißt, sie haben wahrscheinlich gechattet und Jungs veräppelt.«
»Ja klar«, sage ich total spontan. »Ich habe meiner Alina auch versprochen, Englischvokabeln abzuhören. Sie schreiben morgen einen Test.«
»Kenn ich. Bei mir war's gestern Spanisch. Und heute wahrscheinlich noch einmal. Wie ist deine Alina so in der Schule?«
»Gut.«
»Meine auch.«
»Schön.«
»Noch einen Ouzo?« fragt der Kellner.
Krieg der Welten?
»ALINA??!!«
Mit größerem Abscheu hat noch nie ein Mensch seinen Namen ausgespuckt als meine Tochter. Mein Fehler. Ich hätte mich nicht von ihr am Frühstückstisch ausquetschen lassen dürfen. Schon dass ich gestern Abend gegen halb zehn wieder zu Hause war, hat das Weltbild meiner Alina ins Wanken gebracht. Ein Weltbild, dessen stabilste Säule wohl die Überzeugung ist, die Begegnung zweier Menschen ende unweigerlich im Bett. Vor allem dann, wenn einer von beiden Geld in ein romantisches Abendessen investiert hat.
Und was passiert? Nichts. Nichts außer ein paar wirren Gedanken in einem ebenso wirren Traum, der vielleicht gar kein Traum war, sondern die chaotische Aneinanderreihung von Halluzinationen einer Frau, die einfach nicht einschlafen konnte. Gestern Abend hat mich Alina noch verschont. Wir saßen vor dem Fernseher, schauten uns das unsägliche »Topmodel« an, stopften Nüsse und Chips in uns hinein, manchmal warf mir Alina ein Blick zu, der sagte: »Was ist nur mit diesen alten Leuten los? Warum wollen die keinen Sex mehr haben?«
Jetzt prasseln die Fragen auf mich nieder. Er ist Witwer?`Tragisch. Er hat eine Tochter? Hm. Sie ist vierzehn? Oh mein Gott, Mama, die pubertiert ja noch!!! Eine Zicke! Sie heißt Alina? Reaktion siehe oben.
»Sie muss ins Internat«, entscheidet meine Alina, als sie sich von ihrem ersten Schreck erholt hat. »Stell dir mal vor, du rufst Alina – und es kommen gleich zwei. Das geht gar nicht.«
»Ich könnte dich Sophie rufen. Dein zweiter Vorname gefällt dir doch sowieso besser. Sagst du jedenfalls immer.«
»Ach? Jetzt soll ich meinen Namen hergeben? Weil die andere wohl Kunigunde heißt oder was? Unsere Patchwork-Family geht ja schon gut los!«
»Rasmus und ich sind nur gute Freunde«, entgegne ich ruhig und weiß sofort, dass noch nicht einmal das stimmt. Man geht zusammen essen und ist gleich »gute Freunde«? Ist das ganze Leben jetzt Facebook? Er mag mich, warum auch immer. Ich mag ihn – und weiß auch nicht warum. Das heißt: Ich weiß es, aber ist ja eh egal.
»Und wie geht das mit euch jetzt weiter?« stellt Alina unerbittlich die Frage, vor der mich drücke.
»Weiß nicht.«
»Na prima.«
Wir essen unsere Nutellabrote, zwei Frustfrauen, die eine mit der düsteren Vision eines pubertierenden, zickigen Namenszwillings, die andere mit der Vorstellung, für immer allein zu bleiben. Auch meine Tochter wird irgendwann ausziehen.
Gestern Abend vor dem Restaurant haben wir uns zum Abschied die Hände gereicht, mehr nicht. Einen Moment lang habe ich überlegt, ob ich meinen Kopf leicht nach vorne beugen sollte, damit er mich küssen kann. Wenigstens auf die Wange. Einen noch kürzeren Moment lang habe ich gehofft, er käme ebenfalls auf die Idee, seinen Kopf vorzubeugen, damit ich ihn küssen kann. Natürlich nur auf die Wange.
Okay. Wir haben uns die Hände geschüttelt, ist doch auch schon was. Haben »Danke für den schönen Abend« gesagt, das klingt doch beinahe wie »Willst du mit mir ins Bett gehen?«, oder?
Stattdessen gehe ich zur Arbeit. Etwas stimmt nicht. Ich merke es schon, als ich das Gebäude betrete, es ist die Aura oder was auch immer. Etwas ist passiert. Man tuschelt, man läuft herum, man kichert. Man sieht zu mir hin. Neugierig, mitleidig, gehässig (die Hungerbühler, wer sonst).
»Oh«, sagt Ella nur, als ich an ihrem Schreibtisch
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