Die Verschwörung der fetten Frauen (German Edition)
die andere Seite der Medaille? Sind nicht auch sie junge Menschen, die man alleine lässt mit ihren Problemen?
Nein, wir animieren niemanden, sich krank zu hungern. Im Gegenteil. Wir animieren Sie, liebe Leserinnen, sich bewusst zu ernähren, damit Sie nicht hungern müssen! Uns ist bewusst, dass es dabei zu Missverständnissen kommen kann – und wir stellen uns der Kritik gerne. Dies ist einer der Gründe, warum ich jetzt blogge. Der andere, wichtigere ist: Damit Sie eine neue und stets aktuelle Anlaufstation für Ihre Sorgen haben! Ja, wir leben im Zeitalter der globalen Kommunikation, aber im Prinzip hat sich nichts geändert. Wir wollen miteinander reden. Wie erwachsene Menschen, nicht wie Furien! Ich bitte Sie, machen Sie davon Gebrauch! Fragen Sie mich! Schütten Sie mir Ihr Herz aus! Haben Sie keine Scheu, auch unbequeme Themen anzusprechen, gerne auch anonym. Sie finden mich ab sofort auch auf Facebook. Ich freue mich schon auf viele neue Freundinnen – und noch mehr treue Leserinnen!«
Puh! Ich feile noch ein wenig an den Formulierungen, speichere und klicke auf »Veröffentlichen«. So, jetzt ist es raus. Schnell noch den Link kopieren und bei Facebook posten.
Ich bin ins Schwitzen gekommen. Ella steht hinter mir, Sie hat mir die ganze Zeit über die Schultern geschaut. Wie ich das hasse!
»Prima hast du das geschrieben!« lobt sie. Wie ich das liebe!
Jetzt heißt es abwarten, bis der Sturm über mich hereinbricht. Wie viele »Likes« werde ich ernten? Wie viele hämische Kommentare werden mein noch jungfräuliches Blog besudeln? Eigentlich will ich es gar nicht wissen. Ich schalte den Rechner aus – und schalte ihn sofort wieder ein. Eine Runde Solitär spielen, das brauche ich jetzt. Auch wenn es während der Arbeitszeit verboten ist.
Scharmützel
»Am liebsten ginge ich rüber und würde der Tante ins Gesicht sagen, was ich von ihr halte!«
Thea ist außer sich. Daran kann auch das extragroße Stück Cordon Bleu mit einem Mount Everest Pommes nichts ändern.
»Die stellt uns hin, als wären wir die Schädlinge der Volksgesundheit! Dabei ist sie es doch, die die Leute krank macht!«
»Sie ist sowieso nicht im Büro«, sage ich vorsichtig und schaue deprimiert auf meinen Salatteller. Mir ist der Appetit vergangen. Schon dreißig Minuten nach Constanze Corzellis erstem Blogeintrag hat sie vierzig Kommentare bekommen, zwanzig positive und zwanzig negative. Inzwischen tobt dort wohl ein erbarmungsloser Krieg der Anschauungen.
»Ich kann nur hoffen, dass Sabine Müller den Fehdehandschuh auffängt«, teilt Thea kauend mit. Oh ja, muss sie wohl. Mein eh schon nicht vorhandener Appetit verflüchtigt sich endgültig.
»Die hat schon 119 Likes!« entsetzt sich Thea nach einem Blick auf ihr I-Phone. »Wahrscheinlich alles irgendwelche Salatfresserinnen – oh, entschuldige. Hast du keinen Hunger heute?«
»Nein«, sage ich mit knurrendem Magen. Natürlich habe ich Hunger. Ich habe immer Hunger. Aber mein Magen verweigert die Nahrungsaufnahme, wahrscheinlich ist es der Magen von Constanze Corzelli.
Als ich eine halbe Stunde später wieder im Büro bin, sind es schon 153 Likes. Und mindestens 50 bösartige Kommentare. Wenigstens halten 64 verteidigende Kommentare dagegen. Ich liebe das Internet. Stellen Sie sich vor, die Parteien stünden sich leibhaftig gegenüber! Dutzende keifender, zorniger Frauen! Es gäbe ein garantiertes Blutbad, von den ausgerissenen Haaren gar nicht zu reden, aus denen man zig Perücken machen könnte.
Schlammschlachten. Die Kombattantinnen sind jetzt dazu übergegangen, sich »Pussy« und »Quetschkommode« zu nennen. Eine »Christiane_123« erklärt sich bereit, großangelegte Verbrennungen von Frauenzeitschriften – vor allem natürlich unserer – zu organisieren, einen Button hat sie bereits entworfen. Er zeigt auf gelbem Grund die Buchstaben »CC«, um die rote Flammen züngeln. Da will »Model_new« nicht nachstehen und kontert mit einem Button, auf dem ein durchgestrichenes Kuchenstück abgebildet ist. Weiber!
Milkers, der beschwingt durchs Büro tappt, findet das alles »ganz toll!« Er redet von »Pageviews« und »Primary Klicks«, wahrscheinlich hat ihn Rasmus mit diesen Fachausdrücken bestückt. Hm, Rasmus. Der lässt sich nicht blicken.
Ich ertappe mich dabei, wie die Sabine Müller in mir ihr Contra auf Constanzes Blogbeitrag formuliert. Lass das sein, Paula! Kann ich nicht, entgegnet Paula, die Tussen lassen sich nichts befehlen. Ach so.
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