Die Verschwoerung der Fuersten
Gerberjungen verließen sie das Haus.
Sie nahmen den Weg über die Zwerchgasse, bogen bei der kleinen Kapelle St. Kilian in die Cappelgasse ein, und schon dort schlug ihnen der unangenehme Geruch des Gerberviertels entgegen.
Der Burggraf, der darüber nachgrübelte, was er unternehmen sollte, um Licht in die Angelegenheit des Erzbischofs von Bremen zu bringen, hörte nur mit halbem Ohr zu, als Prosperius den Gerberjungen über den Toten ausfragte. Der magere Bursche, der sich zum ersten Mal in seinem jungen Leben im Mittelpunkt der Ereignisse sah, fand offensichtlich schnell Gefallen an seiner Rolle und spann eine abenteuerliche Lebensgeschichte um den dahingeschiedenen Gerber Schnorr. Leichter zu beeindruckende Geister als der des Burggrafen hätten bald geglaubt, dass es sich bei dem Gerber um eine hochgestellte Persönlichkeit gehandelt haben musste, der durch widrige Umstände dem Trunk verfallen und von Gott und der Welt verfolgt worden war. Als dem Jungen endlich die Fantasie ausging, kratzte sich Prosperius verblüfft am Kopf, während Bandolf in seinen Bart grinste.
Die ärmlichen Hütten der Gerber und die Gruben, in denen Felle und Häute eingeweicht wurden, lagen nahe der Mauer am äußersten Rand der Stadt. Der Gestank nach Fäulnis, scharfer, mit Wasser versetzter Lohe, Säuren und Dorschlebertran, mit denen die Felle gewalkt wurden, lag über dem Viertel wie eine Glocke.
Um eine der Gruben hatte sich eine kleine Menschenmenge versammelt, die aufgeregt miteinander schwatzte. Als der Burggraf mit seinem Schreiber näher kam, machten die Leute respektvoll Platz, und die Gespräche verstummten.
Vor der Grube lag die Leiche des Gerbers mit dem Gesicht nach unten. Die abgetragene Hose war trocken, doch der Kittel des Toten triefte, und sein schütteres graues Haar klebte nass an seinem Schädel. Ein durchdringender Gestank nach Fäule und Gerbstoffen stieg von der Leiche auf. Bandolf hielt sich den Ärmel vor die Nase und kniete neben dem Toten nieder.
»Hilf mir, ihn umzudrehen«, wies er Prosperius an. Sein junger Schreiber wurde blass, starrte ihn erschrocken an und wich kopfschüttelnd zurück. »Da … da ist doch sicher Blut«, stammelte er.
Bandolf runzelte die Stirn. »Du willst mir doch nicht sagen, dass es dir vor ein bisschen Blut graust?«
Prosperius presste nur die Lippen aufeinander und schwieg.
Seufzend mühte sich Bandolf ab, den steifen Körper allein umzudrehen. Sein Schreiber würgte und hielt sich die Hand vor den Mund. Bandolf schüttelte resigniert den Kopf, doch dann entfuhr ihm ein »Bei allen Heiligen!«, und er begrub die vage Hoffnung, dass der Junge übertrieben hätte und Schnorr, der Gerber, doch eines natürlichen Todes gestorben wäre.
Das Gesicht des Toten war aufgequollen und verzerrt. Die gelbliche Haut warf Blasen und hatte rotbraune Flecken wie eine verfaulende Rübe. Die weit aufgerissenen Augen des Gerbers stierten in den Himmel, und seine Zunge hing schwärzlich verfärbt aus dem fast zahnlosen Mund. An seinem mageren Hals, der mit Blasen und Flecken übersät war, konnte man deutlich schwarzblaue Würgemale erkennen.
Bandolf holte tief Atem und warf einen strengen Blick in die Menge.
»Wer hat den Toten gefunden?«, fragte er.
»Das war ich, Herr.« Einer der Männer, ein großer Kerl mit massigen Schultern und einem Gesicht wie ein Kind,
schob sich zögernd nach vorne. Er roch fast ebenso unangenehm wie die Leiche. Unsicher blieb er vor dem Burggrafen stehen und bemühte sich, nicht auf den Toten zu starren, der zu ihren Füßen lag.
»Nun?« Bandolf nickte dem Mann aufmunternd zu. »Wer bist du?«
»Sie rufen mich Brun, Herr«, gab der Mann zögerlich Auskunft. Dann verstummte er wieder, und Bandolf seufzte.
»Also schön, Brun. Und weiter?«
»Ich bin Gerbergehilfe.«
»Nun mach schon«, sagte der Burggraf ungeduldig. »Ich will wissen, was sich zugetragen hat. Wann und wie hast du den Toten gefunden?«
»Ach so.« Brun runzelte die Stirn, kratzte sein stoppeliges Kinn und schien ernsthaft über die Frage nachzudenken. Die anderen Gerber und Gehilfen, die sich im Hintergrund hielten, begannen zu flüstern und zu lachen. Der Burggraf warf einen Blick um Beistand auf Prosperius, doch sein junger Schreiber stand noch immer mit ungesunder Gesichtsfarbe abseits und kämpfte offenkundig mit einem Anfall von Übelkeit.
Bandolf unterdrückte ein Seufzen, dann donnerte er: »Ruhe!« Die Männer verstummten, und der große Gerbergehilfe begann endlich zu
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