Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verschwoerung von Toledo

Die Verschwoerung von Toledo

Titel: Die Verschwoerung von Toledo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Espen
Vom Netzwerk:
ihrem hoffnungsvollen Schein noch nicht die Finsternis.
    Henri de Roslin wollte dieses schönste Fest der Christenheit, in dem sich Leiden, Tod und Auferstehung verbinden, nicht mitfeiern. Er hatte in einer kleinen Kapelle am Rhein die Petri Stuhlfeier abgehalten, die mit dem antiken Totengedächtnis zusammenhing. Henri hatte für einen ihm nahe stehenden Verstorbenen eine cathedra, den Stuhl, freigehalten und einen Tag lang mit dem Gesicht auf dem Steinboden gebetet. Bei einem Übergriff auf einen jüdischen Freund durch betrunkenen Raubadel in Paris war dieser erschlagen worden. In Frankreich hielten seit dem letzten Jahr die Übergriffe auf die wenigen Juden an, die noch nicht vertrieben worden waren. Er selbst war auf seinem Weg nach Schottland, um der Verfolgung der Tempelritter in Frankreich zu entgehen, von der man bereits überall munkelte. Und deshalb wollte Henri in diesem Jahr mit seinem väterlichen Freund Theophil und den Juden von Speyer das Pessah-Fest begehen. In Deutschland, vor allem aber in Speyer, lebten die Juden noch einigermaßen sicher.
    Er erreichte Speyer am Abend, hungrig und durchgefroren. Auf der Kruppe seines Pferdes Barq lag Raureif, sein Atem stand als weiße Wolke in der Luft. Das große Tor zum Judenghetto, zur Rechten des Domes, war schon verschlossen. Als er mit der Faust dagegen schlug, öffnete sich eine vergitterte Luke, und das verknitterte Gesicht eines Alten mit einer gelben, zweigehörnten Mütze kam dahinter zum Vorschein.
    »Was wollt Ihr? Ihr seht doch, die Tore sind schon geschlossen!«
    »Macht bitte auf. Ich besuche den Gelehrten Theophil. Leider kommt man bei diesem grimmigen Wetter auf den deutschen Wegen nicht recht voran, und so habe ich mich wider Willen verspätet.«
    Henri hörte ein Brummein, dann rasselten Schlüssel, knarrend öffnete sich ein Flügel des Tores.
    »Gott willkommen, zum guten Festtag«, brummte der Alte und machte ein gutmütiges Gesicht. »Alle unsere Leute sind jetzt in der Synagoge, Ihr kommt eben zur rechten Zeit, um dort die Geschichte von der Opferung Isaaks verlesen zu hören. Das ist eine wichtige Geschichte, denn wenn Abraham den Isaak wirklich geschlachtet hätte und nicht den Ziegenbock, so wären jetzt mehr Ziegenböcke und weniger Juden auf der Welt!«
    »Ich kenne die Geschichte. Aber ich suche Theophil. Wo finde ich ihn, guter Mann?«
    »Reitet nur einfach weiter. Ihr seht dann schon die Synagoge.«
    Henri ritt durch die menschenleere, holprige und glatte Straße. Die Häuser waren hoch und dunkel. Er wusste, die Juden durften ihr Quartier nicht erweitern, also bauten sie ein Stockwerk über das andere. In der Ferne waren jetzt vielfältige und verworrene Stimmen zu vernehmen. Als er den Hof des schönen Gotteshauses erreichte, wusch er sich in dem dort stehenden Brunnen die Hände und trat in den nördlichen Teil der Synagoge, der für die männlichen Betenden vorgeschrieben war. Die Frauen beteten in der Weibersynagoge, die sich im Süden anschloss.
    Beim Eintreten erblickte Henri de Roslin hinter hohen Betpulten schwarz gewandete Männer, die spitzen Bärte herabstehend über den weißen Halskrausen, die Köpfe verhüllt von viereckigen, mit den vorgeschriebenen Schaufäden versehenen Tüchern aus weißer Seide und goldenen Tressen. Sein Blick suchte Theophil. Der Gelehrte stand an dem vergoldeten Eisengitter um die viereckige Bühne, wo die Gesetzabschnitte verlesen wurden und wo die heilige Lade stand, getragen von hohen Säulen mit üppigen Kapitellen. Hier hing auch die silberne Gedächtnis-Ampel, stand der siebenarmige Tempelleuchter und sang der Vorsänger mit inbrünstiger Stimme, begleitet von der sehnsüchtigen und melancholischen Stimme eines jungen und dem tiefen Bass eines alten Sängers.
    Ja, dachte Henri, der Lobgesang Gottes kann erbaulich aufsteigen, auch wenn er nur aus der Brust von Sängern kommt; ohne jedes Hilfsmittel.
    Henri wagte es nicht, Theophil ein Zeichen zu geben, zu sehr war dieser in die Andacht vertieft. Jetzt traten drei alte Männer ehrfurchtsvoll vor die heilige Lade, schoben den glänzenden Vorhang zur Seite, schlossen den Kasten auf und nahmen sorgsam jenes Buch heraus, das in ihrem Glauben Gott mit eigener, heiliger Hand geschrieben hatte. Henri wusste, wie viel die Juden für die Erhaltung dieses Buches schon erlitten hatten. Hass und Tod, ein tausendjähriges Martyrium. Das Buch war eigentlich eine in roten Samt gehüllte große Pergamentrolle, oben, auf den beiden Hölzern, auf denen

Weitere Kostenlose Bücher