Die Verschwoerung von Toledo
gemeinsames Andenken von dieser Reise. Eine Art Priesterkönig, den wir immer mit uns herumtragen könnten! Ein Zeichen, das uns immer verbände!«
»Wir reisen noch einmal auf die Klosterinsel zurück und nehmen jeder einen mit!«, antwortete Henri.
Jetzt fielen ihnen die Gestalten auf, die ringsum an den schmucklosen braunen Wänden aus gebranntem Lehm saßen. Es waren halb nackte Einsiedler, die meditierend vor Grabnischen hockten. Wie lange mochten sie dort schon sitzen? Sie schienen bereits die Farbe ihrer Umgebung angenommen zu haben. Nur der Schein des leuchtenden Sardin, vor dem Henri noch immer kniete, erfasste sie. Henri dachte: Das Leben draußen bedeutet ihnen nichts. Sie sind geboren worden und werden sterben in unmittelbarer Nähe zu ihrem Schöpfer. Ist das der wirkliche Glaube? Und ist das nicht die Botschaft, nach der ich selbst lange suchte? Nämlich dass es gleich ist, wo auf der Erdenscheibe man lebt und was man besitzt, wenn man nur mit sich und mit seinem Schöpfer im Reinen ist?
Es ist schließlich gleich, ob wir den Priesterkönig Johannes gefunden haben, um mit der Kunde von seiner Existenz in das christliche Abendland zurückzukehren. Ich spüre hier, an diesem Ort, die Klarheit meiner Wünsche. Und ich denke klar: Wir nehmen zwei leuchtende Sardine mit nach Hause, die Uthman und mich verbinden. Wenn wir jemals wieder in Gefahr geraten, werden sie uns als Zeichen gelten. Wir werden uns beistehen.
Diese Botschaft bedeutet mir mehr, als den Priesterkönig gefunden zu haben. Und habe ich nicht insgeheim nach ihr, und nicht nach einem solchen König, gesucht?
Während Henri so mit sich sprach und seine Gedanken durch den Zauber des Ortes leichter flossen, verging die Zeit langsamer und behutsamer. Und leise und unaufhörlich rieselte feiner Sand von den Wänden der Kirche auf den Boden.
Zufrieden stand Henri auf, legte Uthman, der ihn lächelnd ansah, den Arm um die Schulter und ging mit ihm hinaus in die Sonne.
Die Welt hatte sie wieder.
8
September 1315, Monat Maria Schmerzen
Wenn Uthman in der Nähe war, dann konnte das Zeichen nur bedeuten, dass er Henris Befreiung versuchen würde. Henri war alarmiert. Er blickte sich verstohlen nach den Wächtern um. Zur anderen Seite sah er einen Bewaffneten zwischen den Bäumen entlanggehen. Hatte er Uthmans Zeichen, den leuchtenden äthiopischen Stein, der Sardin hieß, umschlossen von der hoch gereckten Hand, im Mondlicht gesehen? Der Wächter setzte seinen Weg jedoch fort und verschwand, ohne sich umzudrehen, im Walddunkel.
Henri versuchte, sich aufzurichten. Er lag ungünstig am Wagenrad, die Sparren drückten in seinen Nacken. Aber wenn es ihm gelang, die Fußfesseln zu lösen, dann konnte er in Richtung Uthman laufen, der am anderen Ufer des Flusses Segre stehen musste. Er würde sich in den reißenden Strudel werfen in der Hoffnung, dass der Sarazene zur Stelle war und ihn herausfischte.
Henri begann sofort mit der Arbeit. Schon hatte er sich in eine senkrechte Position gebracht. Er sah hinüber zum Fluss. Das Zeichen war verschwunden. Im flackernden Rauch der ausgehenden Lagerfeuer, den eine leichte Brise zerzauste, sah er die Schläfer, sie bewegten sich unruhig auf ihrer harten Lagerstatt, als ahnten sie etwas. Aber niemand erwachte.
Jetzt konnte Henri de Roslin sitzen. Langsam, Stück für Stück, um kein Geräusch zu verursachen, zog er die Beine an. Als sie angewinkelt waren, schaffte er es, sich so weit vorzubeugen, dass sein Mund die Stricke berührte. Sein Körper schmerzte dabei, Muskeln und Sehnen streckten sich bis zum Zerreißen. Aber er reichte dennoch nicht heran. Es fehlten ein paar Zentimeter.
Henri verschnaufte, er versuchte, seinen strapazierten Körper mit den angespannten Muskeln zu lockern, dann probierte er es noch einmal. Es dauerte lange, bis seine Zähne an den Stricken nagen konnten. Henri verbiss sich mit aller Kraft in die Fesseln. Es war mühselig, und er atmete schwer. Bald schmeckte Henri Blut im Mund, aber er gab nicht auf. Faser für Faser zerriss unter seinem kräftigen Gebiss. Es gab jedes Mal ein leises, platzendes Geräusch, zu leise, um von den Wächtern gehört zu werden.
Henri machte dennoch mehrere Pausen. Wenn sie ihn bei seiner Tätigkeit sahen, würden sie ihn bewusstlos schlagen – und die Fesseln verdoppeln. Dann war auch Uthman machtlos.
Es sei denn, Uthman war nicht allein.
War Joshua, der ihn aus Cordoba herbeigeholt haben musste, bei ihm? Oder andere Männer?
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