Die Verschwoerung von Toledo
nicht fragen müssen, ob du Angst hast, nach Avignon zu gehen, Uthman! Ich will nicht fragen, ob du Angst davor hast, in die Stadt deiner Feinde zurückzukehren. Ein Kämpfer wie du, in vielen Schlachten erfahren!«
»Dann frag mich auch nicht. Denn es wäre eine Beleidigung für mich.«
Joshua schüttelte nun seinerseits traurig den Kopf. »Ist es dieser Mann dort wert, dass wir uns zerstreiten, meine Freunde? Schaut ihn euch an! Ist er nicht die Erbärmlichkeit selbst? Einst arrogant und gefährlich, jetzt ist er nur noch ein Häufchen Elend und Ängstlichkeit. Für wen lohnt es sich also, dass wir uns streiten?«
»Es geht nicht um Ferrand, Joshua«, sagte Henri milde. »Und das weißt du. Es geht um die Gerechtigkeit. Wenn wir so sind wie alle anderen, dann geht dieses Land zugrunde. Nein, wir müssen ein Zeichen setzen! Wenn wir eine neue Welt nach all den Lügen und Verleumdungen, nach den Verfolgungen, mit einem Wort nach Clemens und Philipp, gründen wollen, dann müssen wir auch mit dem alten Unrecht brechen und neu anfangen!«
»Mit Fehlern, mein Freund?«
»Ist es ein Fehler, der Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen? Wir treten in das Zeitalter der unabhängigen Gerichte ein, die nicht nach Standesdünkel und Faustrecht, nicht nach Repressalien, Vorurteilen und kleinlichem Gewinn aburteilen, sondern nach Vernunft und Gesetz!«
»Ihm ist nicht zu helfen, Joshua«, seufzte Uthman, »seine Erziehung im Tempel hat offenbar mehr Unheil in seinem Kopf angerichtet, als wir befürchtet haben. Henri ist und bleibt ein heiliger Idealist. Er hat nichts gelernt aus all dem Unrecht, das ihm selbst widerfahren ist und allen seinen Tempelbrüdern!«
»Hast du wirklich alles vergessen? Das kann doch nicht sein, Henri!«
»So ist es auch nicht. Ich habe viel gelernt. Und eine Lehre ist dabei besonders kostbar: Freiheit muss auch die Freiheit der anderen sein, mögen sie noch so falsch sein, wie beispielsweise Ferrand es zweifellos ist. Auch unsere Feinde haben ein Recht darauf, als Menschen behandelt zu werden! Und auch wir können irren!«
Joshua sah ihn fest an. »Ich dagegen sage: keine Freiheit für die Feinde der Freiheit! So steht es schon in der Bibel!«
»Wenn Ferrand in Toledo Erfolg gehabt hätte«, giftete Uthman ungestüm, »dann würde das Judenghetto, die Aljama, jetzt in Schutt und Asche liegen, und Hunderte wären erschlagen! Und ein Mensch wie dieser dort ginge über all die geschändeten Leichen und lachte laut!«
»Das weiß ich«, antwortete Henri, bei jedem Satz ruhiger und sicherer werdend, »aber so kam es nicht. Wir konnten es mit Gottes Hilfe vereiteln. Sicher können wir Ferrand de Tours auch erschlagen wie einen Hund. Aber dann wird er zu einer Art Märtyrer für hasserfüllte Christen werden. Er würde umso mehr Nachfolger finden. Wir aber werden ihn öffentlich anklagen und damit seine Erbärmlichkeit zeigen. Und alle werden begreifen, dass Hass und Vorurteile, wie Ferrand sie verkörpert, einer vergangenen Zeit angehören, die nie mehr wiederkehren darf! Die Erdenscheibe wird kleiner. Und wir müssen zusammenrücken. Wir kommen nur miteinander aus, wenn wir versuchen, uns gegenseitig zu achten, auch wenn wir ganz anderer Meinung sind. Die Zeit, wo man sich mit Waffen holte, was man brauchte oder auch nur begehrte, ist vorbei. Was wir brauchen, ist einfach ein anderer Umgang miteinander. Damit wollen wir anfangen. Und nun sitzt auf. Wir reiten nach Avignon!«
Henri griff grob nach seinem Gefangenen, warf ihn vor sich über sein Pferd, wendete Barq, fasste seine Freunde noch einmal ins Auge – und galoppierte davon.
Er drehte sich nicht mehr um, er wusste, die Gefährten folgten ihm. Sie teilten seinen bewusst übertriebenen Friedensappell nicht, aber sie waren ihm treu ergeben. Ja, er hatte übertrieben, denn er wusste genau, dass er in der vor ihm liegenden Zeit rücksichtsloser und gewaltsamer, als ihm lieb war, mit jenen Kräften abrechnen musste, die durch ihre Lügen und Intrigen gegen den Frieden Gottes hetzten. Es ging nicht mehr gegen Papst und König, die den Tempel verfolgt hatten. Es ging gegen Mächte, wie Ferrand sie verkörperte, Mächte des Bösen, der Dummheit, der Unduldsamkeit, die im anderen Menschen immer nur den Feind wahrnahmen. Und bei diesem Kampf würden seine Gefährten an seiner Seite stehen.
Er kannte sie genau.
Auf ihrem Weg nach Norden kamen sie durch ein Land, das sie kaum wieder erkannten.
Die Felder lagen brach. Als wollten die Bauern Henris
Weitere Kostenlose Bücher