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Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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oder vollständigere frühere Entwürfe befinden.«
Sie lächelte unsicher. »Wenn man das Material zusammenfasste, würde es vermutlich für einen Aufsatz ausreichen.«
    Dismore sah sie angespannt an. Als er sprach, klang seine Stimme erregt. »Ich habe hier nur sehr wenig, doch Sie können es natürlich gern einsehen. Sofern es noch mehr gibt, Mrs. Fetters, sollten wir an jeder nur denkbaren Stelle suchen, bis wir alles gefunden haben. Ich bin bereit, jede Mühe auf mich zu nehmen und keine Kosten zu scheuen, um an diese Unterlagen zu kommen …«
    Ein sonderbares Prickeln überlief Charlotte. War das eine verhüllte Drohung?
    »Ihr Gatte war ein bedeutender Mann«, fuhr Dismore fort. »Wie ein roter Faden durchzieht sein leidenschaftlicher Glaube an die Gerechtigkeit alles, was er geschrieben hat. Er konnte Menschen dazu bringen, eingefahrene Vorurteile neu zu überdenken.« Wieder verzog er sorgenvoll das Gesicht. »Sein Tod ist ein Verlust für die Menschheit, ein Schlag gegen Ehre und Anstand und die Liebe zum Guten. Einem Mann wie ihm kann man zwar nachfolgen, doch ersetzen kann man ihn nicht.«
    »Danke«, sagte Juno gefühlvoll.
    Charlotte fragte sich, ob Juno wohl das Gleiche dachte wie sie selbst. War dieser Mann ein Opfer, ein naiver Enthusiast oder ein begnadeter Schauspieler? Je aufmerksamer sie ihn beobachtete, desto weniger war sie ihrer Sache sicher. Von ihm ging nicht die Art offener Bedrohung aus, die sie bei Gleave gespürt hatte, der Eindruck, dass er bereit war, all seine Macht einzusetzen, wenn er es für richtig hielt. Hier spürte sie eher eine beinahe monomane geistige Energie, eine geradezu elektrisierende Leidenschaft und Intelligenz.
    Juno war nicht bereit, so rasch klein beizugeben.
    »Mr. Dismore, ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn ich mitnehmen dürfte, was Sie von ihm hier haben, damit ich es mir zu Hause in Ruhe ansehen kann. Mir liegt daran, seinen Nachlass zu ordnen, und ich würde Ihnen dann sozusagen als Erinnerung an ihn ein letztes Werk aus seiner Feder anbieten. Natürlich immer vorausgesetzt, Sie wären bereit, es zu veröffentlichen. Möglicherweise erscheint Ihnen das unverschämt von mir, als ob …«
    »Aber nein!«, unterbrach er sie. »Nicht im Geringsten. Natürlich werde ich alles, was vorliegt, auf die beste mir mögliche Weise veröffentlichen.« Er läutete die Glocke, die auf seinem Schreibtisch stand, und gab dem Sekretär, der daraufhin hereinkam, Anweisung, alle Briefe und Papiere aus Martin Fetters’ Hand zu bringen.
    Als der Mann hinausgegangen war, nahm Dismore wieder in seinem Sessel Platz und sah Juno freundlich an.
    »Ich bin so froh, dass Sie gekommen sind. Darf ich sagen, wie sehr ich Ihre Absicht bewundere, einen Tribut für Martin zusammenzustellen? Er hat von Ihnen stets mit großer Wertschätzung gesprochen, und jetzt sehe ich mit Freude, dass aus ihm nicht nur der liebende Gatte sprach, sondern er auch – gestatten Sie bitte, dass ich das sage – Ihr Wesen völlig richtig eingeschätzt hat.«
    Junos Wangen röteten sich, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    Charlotte hätte sie gern getröstet, aber dazu gab es keine Möglichkeit. Entweder sprach Dismore in aller Unschuld, oder es handelte sich um die ausgesuchteste Grausamkeit. Je länger sie ihn beobachtete, desto weniger wusste sie, was sie davon halten sollte. Er saß ein wenig vorgebeugt da, und während er von anderen Artikeln sprach, die Fetters geschrieben hatte, von Reisen, die er an die Orte großer Schlachten gegen die Tyrannei unternommen hatte, leuchtete Begeisterung aus seinen Augen. Jedes Wort, das er sagte, ließ seine eigene, beinahe fanatische Hingabe an die Sache durchschimmern.
    War diese glühende Begeisterung für eine republikanische Reform unter Umständen in Wahrheit eine raffinierte Maske? Verbarg sich darunter ein Monarchist, der bereit war, einen Mord zu begehen, um die Verschwörung nicht auffliegen zu lassen, mit der die Untaten von Whitechapel vertuscht werden sollten? Oder stand hinter seinem leidenschaftlich vorgetragenen Wunsch nach einer Reform eine Besessenheit, die so rücksichtslos war, dass er eben diese Verschwörung aufdecken wollte, um die Revolution anzufachen, trotz aller damit verbundenen Gewalt und allen Leides, das sie zwangsläufig zur Folge hätte?
    So aufmerksam sie ihn ansah und auf seine Stimme lauschte, sie kam nach wie vor zu keinem Ergebnis.
    Den kräftigen braunen Umschlag, in dem die Papiere hereingebracht wurden, gab Dismore

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