Die Verschwoerung von Whitechapel
diesen beiden zu entscheiden. Wir haben festgestellt, dass das Opfer, Martin Fetters, sein Freund war. Ich danke Mr. Gleave dafür, dass er dargelegt hat, dass für Adinett Freundschaft nicht das höchste Gut war, sondern er bereit wäre, sie seinen Grundsätzen zu opfern, sofern er sich gezwungen sähe, sich zwischen dem einen und dem anderen zu entscheiden.«
Gemurmel erhob sich. Einer der Geschworenen sah verwirrt drein, dann aber trat der Ausdruck plötzlichen Verstehens auf seine Züge. Der Obmann stieß seufzend den Atem aus, und er entspannte sich erkennbar.
»Es ist nicht erwiesen, dass es einen solchen Konflikt gegeben hätte!«, begehrte Gleave auf und tat einen Schritt nach vorn.
»Aber auch nicht, dass es ihn nicht gab!«, erwiderte Juster und wandte sich ihm zu.
Der Richter brachte beide mit einem Blick zum Schweigen.
Juster dankte Birkett und kehrte an seinen Platz zurück. Diesmal ging er völlig entspannt und stolzierte sogar ein wenig.
Am nächsten Tag führte Gleave den letzten Stoß gegen Pitt. Vor der Geschworenenbank stehend, sagte er: »Dieser ganze auf mehr als dürftige Indizien gestützte Prozess steht und fällt mit der Aussage eines einzigen Mannes, nämlich mit der von Oberinspektor Thomas Pitt.« Seine Stimme klang verächtlich. »Was bleibt eigentlich, wenn Sie einmal von dem absehen, was er sagt? Ich brauche es nicht ausdrücklich zu sagen – nichts, nicht das Geringste!« Er zählte an den Fingern ab. »Ein Mann hat einen anderen Mann auf der Straße gesehen, der in einen der Gärten gegangen ist. Das kann John Adinett gewesen sein, doch ebenso ist es möglich, dass er es nicht war.« Er hob einen zweiten Finger. »Ein Kratzer an einer Tür, der unter Umständen schon seit Tagen da war und der seine Entstehung vermutlich der ungeschickten Handhabung eines Billard-Queues
verdankt.« Ein dritter Finger wurde gehoben. »In einer Bibliothek ist ein Sessel von seinem Platz verrückt worden, wofür es zahlreiche Gründe geben kann.« Ein vierter Finger. »Bücher finden sich nicht an der Stelle, an die sie gehören.« Achselzuckend machte er eine wegwerfende Handbewegung. »Vielleicht hatte man sie nicht zurückgestellt, und das Hausmädchen hatte sie dorthin getan, wo sie eine Lücke sah – vermutlich liest sie keine Sagen des klassischen Altertums. Ihr ging es darum, dass alles ordentlich aussah, nicht aber um die Anordnung der Bücher im Regal. Womöglich kann sie gar nicht lesen! Ein Faden von einem Teppich hängt an einem Schuhabsatz.« Er riss die Augen weit auf. »Wie mag er dort hingelangt sein? Wer kann das wissen? Und das Absurdeste von allem: ein halbes Glas Portwein. Mr. Pitt will uns weismachen, man könne daran erkennen, dass Mr. Fetters keinen Anlass gehabt habe, nach seinem Butler zu läuten. In Wahrheit bedeutet es lediglich, dass Mr. Pitt nicht an den Umgang mit Dienstboten gewöhnt ist – das aber hätten wir uns auch so gedacht, denn er ist Polizeibeamter.« Das letzte Wort sprach er mit unüberhörbarer Verachtung aus.
Im Gerichtssaal herrschte Stille.
Gleave nickte.
»Ich würde gern mehrere Zeugen aufrufen, die Mr. Pitt gut kennen und bereit sind, Ihnen zu sagen, was für ein Mensch er ist, damit Sie selbst beurteilen können, was seine Aussagen wert sind.«
Pitts Herz sank, als er Albert Donaldsons Namen hörte und die ihm wohl bekannte Gestalt den Gerichtssaal durchqueren und in den Zeugenstand treten sah. Auch wenn er fülliger und ergrauter war als vor fünfzehn Jahren, als er Pitts Vorgesetzter gewesen war, war sein Gesichtsausdruck genauso, wie sich Pitt an ihn erinnerte, und ihm war klar, dass Donaldsons Geringschätzung nach wie vor nicht erloschen war.
Die Aussage ergab genau das, was Pitt erwartet hatte.
»Sie sind im Ruhestand und waren früher Angehöriger der Polizei der Stadt London, Mr. Donaldson? «, begann Gleave.
»So ist es.«
Gleave nickte leicht.
»Gab es zu Ihrer Zeit als Leiter der Polizeiwache in der Bow Street dort einen Streifenpolizisten namens Thomas Pitt?«
»Ja.« An Donaldsons Gesichtsausdruck ließ sich ablesen, was er dachte.
Gleave lächelte. Er entspannte sich sichtlich.
»Was für ein Mensch war er damals, Mr. Donaldson? Ich nehme an, dass Sie oft Gelegenheit hatten, mit ihm zusammenzuarbeiten? Eigentlich müsste man wohl sagen, dass er Ihnen Rechenschaft schuldig war?«
»Der? Der war niemandem Rechenschaft schuldig!«, gab Donaldson hasserfüllt zurück und warf einen Blick auf Pitt. Schon beim
Weitere Kostenlose Bücher