Die Verschwoerung von Whitechapel
undurchdringlich und erstickend. Er wollte weiterreden, ihr das unfassliche Ausmaß des Ganzen ausmalen, sah aber keine andere Möglichkeit dazu, als dass er immer aufs Neue dieselben verzweifelten und unzulänglichen Worte wiederholte.
»Sofern der Innere Kreis hinter dieser Verschwörung steht«, sagte Vespasia fast ebenso sehr zu sich selbst wie zu ihm, »wollen die Leute die Regierung und den Thron stürzen, um selbst die Führung des Landes zu übernehmen, und das vermutlich als Republik.«
»Ja«, gab er ihr Recht. »Aber dies Wissen verhilft uns nicht dazu, sie aufzuspüren, und schon gar nicht, das zu verhindern.«
Mit leichtem Kopfschütteln erklärte sie: »Darauf will ich gar nicht hinaus, Thomas. Angenommen, der Innere Kreis will eine Republik ins Leben rufen, können das nie und nimmer die Leute sein, welche die tragische Eheschließung des Herzogs von Clarence geheim gehalten und dafür gesorgt haben, dass man fünf unglückliche Frauen getötet hat, um zu erreichen, dass die Sache auf keinen Fall ans Tageslicht kam.« Sie sah ihn mit ihren silbern glänzenden Augen unverwandt an.
»Dann gibt es also tatsächlich zwei Verschwörungen …«,
flüsterte er. »Aber wer sind dann die anderen? Dahinter steckt doch nicht etwa … das Königshaus?«
»Um Gottes willen, nein«, gab sie zur Antwort. »Zwar kann ich das nicht beschwören, aber ich denke, es sind die Freimaurer. Sie besitzen die Macht, und ihnen liegt daran, Krone und Regierung zu erhalten.«
Er versuchte, das in sich aufzunehmen. »Aber würden sie …«
Sie lächelte kaum wahrnehmbar. »Menschen tun nahezu alles, wenn sie von einer Sache hinlänglich überzeugt sind und Eide geleistet haben, die sie nicht zu brechen wagen. Natürlich ist es ebenso gut möglich, dass diese Leute nicht das Geringste damit zu tun haben. Unter Umständen werden wir nie erfahren, wer dahinter steckt. Aber irgendjemand hat seinen Eid gebrochen oder war ungewöhnlich sorglos, und ein anderer war klüger, als sich voraussehen ließ, denn jetzt besitzt der Innere Kreis die Macht, alles zu zerschlagen – und es sieht ganz so aus, als ob er gewillt wäre, das auch zu tun.« Sie holte tief Luft. »Du bist ihnen in den Arm gefallen, Thomas, hast sie auf ihrem Weg aufgehalten, doch zweifle ich, dass sie sich geschlagen geben werden.«
»Und damit habe ich die Hälfte der Juden in Spitalfields in Gefahr gebracht und fast mit Sicherheit erreicht, dass man einen von ihnen für ein Verbrechen hängt, das er nicht begangen hat«, fügte er hinzu. Der Abscheu vor sich selbst, der in seiner Stimme lag, war ihm schon in dem Augenblick zuwider, als er ihn hörte.
Sie warf ihm einen ärgerlichen Blick zu.
»Gibt es eine Möglichkeit festzustellen, ob diese Geschichte mit Clarence der Wahrheit entspricht?«, fragte er. Er war nicht sicher, worauf er hinauswollte, doch war ihm bewusst, dass Nichtstun gleichbedeutend war mit Kapitulation.
»Ich glaube nicht, dass das noch erheblich ist«, sagte sie, während der Zorn aus ihren Augen schwand. »Möglich ist es, und ich zweifle, dass jemand sie widerlegen könnte. Mehr braucht der Innere Kreis aber auch nicht. Bei der allgemeinen Empörung, zu der es käme, wenn das bekannt würde, hätte niemand Gelegenheit, auch nur eine Sekunde lang Tatsachen abzuwägen oder zu beurteilen. Wer verhindern will, dass die
Öffentlichkeit davon erfährt, muss dafür sorgen, bevor sich irgendjemand außerhalb des Inneren Kreises darüber geäußert hat.« Der Anflug eines Lächelns legte sich auf ihre Lippen. »Ganz wie du bin ich nicht sicher, wem ich trauen kann. Infragen der Moral vermutlich niemandem. Es gibt Zeiten, in denen man allein steht, und womöglich ist dies ein solcher Augenblick. Aber ich glaube die Interessen bestimmter Menschen gut genug abschätzen zu können, um zu wissen, wie sie handeln werden, wenn sie unter Druck geraten.«
»Sei vorsichtig!« Er hatte Angst um sie. Während ihm diese Worte entschlüpften, war ihm klar, dass er sie nicht hätte sagen dürfen. Es war anmaßend von ihm, doch das war ihm jetzt einerlei.
Sie machte sich nicht die Mühe, darauf zu antworten. »Vielleicht solltest du besser zusehen, ob du etwas unternehmen kannst, um deinen jüdischen Freunden zu helfen. Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, feststellen zu wollen, wer wirklich den armen Sissons umgebracht hat. Offensichtlich war Sissons von Anfang an der Betrogene und hat sich das unter Umständen bis zu einem gewissen Grade auch recht gern
Weitere Kostenlose Bücher