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Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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gefallen lassen. Mit seinem Tod dürfte er nicht gerechnet haben. Er hatte wohl keine Vorstellung davon, mit wie großer Tücke die Verschwörer vorgehen würden, mit denen er sich eingelassen hatte. Es gibt so viele Idealisten, in deren Augen der Zweck die Mittel heiligt, Männer, die mit hehren Zielen beginnen …« Sie ließ den Satz unvollendet, mit dem sie auf die Geister der Vergangenheit angespielt hatte.
    »Was wirst du tun?«, fragte er sie besorgt. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er gekommen war.
    »Ich weiß nur eins«, sagte sie und sah dabei nicht auf ihn, sondern in die Ferne, als sehe sie dort eine Vision. »Es gibt zwei widerwärtige Verschwörungen. Wir müssen dafür sorgen, dass sie gegeneinander kämpfen, und Gott bitten, dass das Ergebnis für sie vernichtender ist als für uns.«
    »Aber – «, begehrte er auf.
    Mit leicht gehobenen Brauen wandte sie sich ihm zu. »Hast du einen besseren Einfall, Thomas?«
    »Nein.«
    »Dann geh nach Spitalfields zurück, und tu, was du kannst, um dafür zu sorgen, dass nicht Unschuldige den Preis für unsere Katastrophen zahlen müssen. Das ist der Mühe wert.«
    Er erhob sich gehorsam und dankte ihr. Erst draußen, mitten im morgendlichen Straßenverkehr, merkte er, dass er nach wie vor nicht gefrühstückt hatte. Die Dienstboten waren zu rücksichtsvoll gewesen, als dass sie ihr Gespräch mit so banalen Dingen wie Speise und Trank unterbrochen hätten.
     
    Nach Pitts Weggang läutete Vespasia dem Mädchen. Während sie frischen Tee trank und Toast aß, ging sie im Geiste alle Möglichkeiten durch. Eine bestimmte Vorstellung schälte sich heraus, der sie sich aber noch nicht stellen wollte.
    Zuerst würde sie sich mit dem beschäftigen, was unmittelbar zu erledigen war. Eigentlich war es unerheblich, dass Sissons dem Kronprinzen in Wahrheit kein Geld geliehen hatte. Entscheidend war, dass der Innere Kreis diesen Anschein erweckt hatte. Ihrer festen Überzeugung nach hatten diese Männer die Situation so manipuliert, dass alles auf einen Betrug hinwies. Das Ergebnis würde sein, dass die Zuckersiedereien schließen mussten, denn das war der tiefere Sinn, der hinter dem Mord stand. Unter den einfachen Leuten in Spitalfields würde es nur dann zu Ausschreitungen kommen, wenn sie ihre Arbeitsplätze verloren.
    Mithin musste sie etwas tun, um das auf jeden Fall einstweilen zu verhindern. Im Laufe der Zeit würde man eine andere Lösung finden … möglicherweise sogar eine große Geste des Kronprinzen? Das würde ihm Gelegenheit geben, zumindest teilweise etwas wieder gutzumachen.
    Sie ging nach oben und kleidete sich mit großer Sorgfalt an. Sie wählte ein blaugraues Kostüm, dessen Kragen und Ärmel reich bestickt waren. Nachdem sie einen dazu passenden Sonnenschirm ausgesucht hatte, ließ sie ihre Kutsche vorfahren.
    Sie traf um halb zwölf am Connaught Place ein. Zwar war das keine Uhrzeit, zu der man Besuche machte, doch handelte es sich um einen Notfall, und das hatte sie Lady Churchill auch am Telefon gesagt.
    Randolph Churchill erwartete sie in seinem Arbeitszimmer
am Schreibtisch. Er erhob sich bei ihrem Eintreten, sein glattes Gesicht streng, bereit, jeden Augenblick Missfallen zu zeigen. Im Augenblick aber veranlassten ihn seine guten Manieren und vielleicht auch die Neugier, ihr Gehör zu leihen.
    »Guten Morgen, Lady Vespasia. Es ist stets ein Vergnügen, Sie zu sehen, doch muss ich gestehen, dass Ihre Mitteilung eine gewisse Beunruhigung ausgelöst hat. Bitte nehmen Sie …« Bevor er das Wort »Platz« sagen konnte, hatte sie sich bereits gesetzt. Sie dachte nicht daran, sich von irgendjemandem, und sei es Randolph Churchill, in eine ungünstige Ausgangsposition bringen zu lassen.
    »… und sagen Sie mir, was ich für Sie tun kann«, beendete er seinen Satz, bevor er sich wieder setzte.
    »Es gibt keine Zeit mit Belanglosigkeiten zu vertun«, sagte sie knapp. »Vermutlich ist Ihnen bewusst, dass man vor zwei Tagen den Zuckerfabrikanten James Sissons in Spitalfields ermordet hat.« Sie wartete nicht auf seine Bestätigung. »Eigentlich sollte es wie ein Selbstmord aussehen, und so hatten interessierte Kreise auch einen Abschiedsbrief vorbereitet, in dem er seinen Ruin darauf zurückführte, dass er dem Kronprinzen Geld geliehen und dieser sich geweigert habe, es zurückzuzahlen. Das habe dazu geführt, dass seine drei Fabriken zugrunde gerichtet seien und mindestens eintausendfünfhundert Familien in Spitalfields vor dem Nichts stünden.«

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