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Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Fall würde verstecken können, ohne dass man ihn fand. Er wusste nicht einmal, wer außer ihm noch für Narraway arbeitete.
    Hinzu kam, dass er eine Wut empfand, die viel stärker war als seine Panik, und so stieß er hervor: »Die Morde wurden begangen, um zu verhindern, dass die Eheschließung zwischen dem Herzog von Clarence und einer Katholikin namens Annie Crook sowie die Existenz eines gemeinsamen Kindes der beiden bekannt wurde.«
    Narraways Augen öffnete sich kaum wahrnehmbar, so wenig, dass Pitt nicht sicher war, ob er das gesehen oder es sich eingebildet hatte. War es Überraschung? Weil Pitt Bescheid wusste, oder über die Tatsache als solche?
    »Haben Sie das hier in Spitalfields ermittelt?«, fragte Narraway. Er leckte sich die Lippen, als wäre sein Mund ausgetrocknet.
    »Nein, man hat es mir berichtet. Ein Journalist, der bis auf zwei alle Beweisstücke in seinem Besitz hat – oder hatte. Es ist denkbar, dass er inzwischen alle hat. Allerdings haben die Zeitungen es noch nicht veröffentlicht.«
    »Ich verstehe. Und Sie haben es nicht für richtig gehalten, mich von Ihrem Wissen in Kenntnis zu setzen?« Narraways Gesicht war eine undurchdringliche Maske. Seine Augen glänzten unter den gesenkten Lidern. Er sprach sehr leise. In seiner Stimme lag eine gefährliche Höflichkeit.
    Pitt entschloss sich, ihm alles zu sagen. »Die Sache sieht so aus: Die Freimaurer stehen dahinter, und der Innere Kreis spielt dem Journalisten die Einzelheiten Stück für Stück zu, damit er die Geschichte zu dem Zeitpunkt veröffentlichen kann, der ihnen geeignet erscheint. Die Hälfte der mit der Aufklärung des Falles betrauten höheren Polizeibeamten waren in das Verbrechen eingeweiht. Den Mord an Sissons hat der Innere Kreis veranlasst. Woher soll ich wissen, ob Sie nicht der einen oder der anderen Gruppe angehören? Es gibt für mich keine Möglichkeit, das festzustellen.«
    Narraway holte tief Luft und sank dann in sich zusammen. »In dem Fall wären Sie aber damit, dass Sie es mir jetzt gesagt haben, ein gewaltiges Risiko eingegangen, oder etwa nicht? Sie
wollen mir doch nicht weismachen, dass Sie eine Schusswaffe in der Tasche haben und mich umlegen, wenn ich die falsche Entscheidung treffe?«
    »Nein.« Pitt setzte sich ihm gegenüber auf den einzigen anderen Stuhl im Raum. »Meiner Ansicht nach lohnt es sich, das Risiko einzugehen. Falls Sie Freimaurer sind, werden Sie dem Inneren Kreis in den Arm fallen oder es zumindest versuchen. Falls Sie selbst dem Inneren Kreis angehören, werden Sie die Machenschaften der Freimaurer enthüllen. Zwar würden Sie damit den Thron stürzen, doch müssten Sie dazu Sissons’ Tod als Selbstmord hinstellen, und das würde zumindest Karansky das Leben retten.«
    Narraway straffte sich. Seine schmalen Hände ruhten entspannt auf dem Tisch, aber sein Zorn war unverkennbar, als er in scharfem und warnendem Ton sagte: »Vermutlich müsste ich Ihnen dankbar sein, dass Sie es mir endlich gesagt haben.« Der unüberhörbare Spott galt ihm selbst ebenso sehr wie Pitt. Einen Augenblick lang sah es aus, als wolle er etwas hinzufügen, dann unterließ er es aber.
    Pitt überlegte, ob Narraway die gleiche Art von Wut empfand wie er, die gleiche Bestürzung darüber, dass hier nicht nur das Rechtswesen versagt hatte, sondern es auch keine höhere Gerechtigkeit gab, keine höhere Instanz, an die man sich wenden konnte. Das System war bis ins Mark verrottet.
    »Gehen Sie, und tun Sie für Karansky, was Sie können«, sagte Narraway ausdruckslos. »Für den Fall, dass Ihnen nicht klar sein sollte, wie das gemeint ist – das ist eine dienstliche Anweisung.«
    Fast hätte Pitt gelächelt. Immerhin, ein schwacher Lichtschimmer in der Finsternis. Er nickte, erhob sich und ging. Er würde sich sofort zur Heneagle Street aufmachen. Er empfand es als bitter, dass er, der sein ganzes Erwachsenenleben hindurch der Gerechtigkeit gedient hatte, für einen Unschuldigen im Augenblick nichts anderes tun konnte, als ihn zu warnen und ihm zur Flucht zu verhelfen, weil ihm das Gesetz keine Sicherheit und keinen Schutz bot. Er würde sein Heim zurücklassen müssen, seine Freunde, die Gemeinschaft, der er gedient hatte, sein ganzes Leben, das er sich in einem Lande aufgebaut
hatte, von dem er überzeugt gewesen war, dass es ihm Zuflucht und die Möglichkeit eines neuen Anfangs bieten würde.
    Aber Pitt würde es tun, und wenn er selbst für die Leute packen und mit ihnen zum Anleger gehen, ihre Fahrkarten auf

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