Die Verschwoerung von Whitechapel
nahm. Steckte Vespasia etwa auch hinter seiner Freilassung? Wohl kaum … sonst hätte sie ihm diese Erfahrung von vornherein erspart. Narraway! Nein, auch er hatte weder die Macht, noch wusste er von seiner Festnahme.
Die Freimaurer … die andere Seite der Verschwörungen um Whitechapel. Mit einem Mal schmeckte ihm die Freiheit nicht nur süß, sondern zugleich bitter.
Er würde in die Heneagle Street zurückkehren und dort die von Lea zubereitete Mahlzeit essen. Anschließend würde er Saul aufsuchen, sobald das möglich war, ohne beobachtet zu werden, und zusehen, was er tun konnte, um Geld für Isaak und Lea aufzubringen, ihnen Hilfe zukommen zu lassen.
Charlotte war nach wie vor entschlossen, weitere Papiere zu finden. Wie Juno war sie fest davon überzeugt, dass Martin Fetters sie irgendwo verborgen hatte. Nachdem sie an allen Stellen nachgesehen hatten, die ihnen eingefallen waren, überlegten sie jetzt in der Bibliothek, was sie noch unternehmen konnten. Es war Charlotte schmerzlich bewusst, dass ein Mann, den Martin Fetters für seinen Freund gehalten und dem er getraut hatte, ihn nur wenige Schritte von der Stelle entfernt getötet hatte, an der sie sich gerade befand. Das Bild, das sie von diesem entsetzlichen Augenblick hatte, hing wie eine kalte Drohung in der Luft. Sie malte sich aus, wie es gewesen sein musste: wie er seinen bevorstehenden Tod in Adinetts Augen gesehen und gewusst hatte, was geschehen würde, dann der rasche Schmerz und die Bewusstlosigkeit. Sicherlich stand Mrs. Fetters all das noch viel deutlicher vor Augen als ihr.
Nacht für Nacht schlief Charlotte allein in ihrem Zimmer, sich der leeren Stelle im Bett neben ihr bewusst. Sie machte sich Sorgen um Pitt, hatte Angst um ihn. Wie viel schlimmer musste es Juno Fetters gehen, die nicht nur allein schlief, sondern wohl stets an das dachte, was wenige Räume weiter geschehen war. Bei ihr war das Schlimmste, was sie befürchten konnte, bereits eingetreten.
»Die Papiere müssen hier sein«, sagte sie jetzt verzweifelt. »Martin hatte keinen Grund, sie zu vernichten, und Adinett hatte nicht genug Zeit dafür. Bei seinem Weggang trug er nichts bei sich, ich habe ihn ja selbst gesehen. Natürlich könnte er etwas mitgenommen haben, als er zurückgekommen ist …« Sie sprach nicht weiter.
»Wann hatte er denn Gelegenheit, sich danach umzusehen?«, überlegte Charlotte laut. »Falls Ihr Mann sie herausgelegt hatte, müsste Adinett sie erst unauffällig beiseite geräumt und dann wieder hervorgeholt haben, als er zurückgekehrt ist. Sie sagten, dass er keine Tasche bei sich hatte, sondern lediglich einen Stock. Wie hat Ihr Mann lose Blätter normalerweise transportiert – oder nehmen Sie an, dass er alles in ein gebundenes Notizbuch eingetragen hat?«
Juno sah sich im Zimmer um. »Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es weit mehr Entwürfe gegeben haben muss, habe
aber weder eine Vorstellung davon, wie aussieht, was wir suchen, noch, wie viel es sein könnte. Die Männer waren keine Träumer, sondern wollten ein bestimmtes Ziel erreichen. Von Zeit zu Zeit haben sie sich getroffen, um miteinander über ihre Vorstellungen zu reden. Wer etwas erreichen will, muss sich über das genaue Vorgehen im Klaren sein.«
»Dann hätte also Adinett als Monarchist den Wunsch gehabt, diese Pläne zu vernichten, um ihre Verwirklichung zu verhindern?«, fragte Charlotte nachdenklich. Sie ließ den Blick über die Bücherreihen wandern. »Ich wüsste nur gern, wo er nachgesehen hat.«
»Alles schien an seinem Platz zu sein«, gab Juno zurück. »Natürlich außer den drei Büchern, die am Boden lagen. Aber wir hatten ja von Anfang an vermutet, dass die mit Absicht dort hingelegt worden waren, damit es so aussah, als wäre Martin von der Leiter gefallen, als er sie aus dem Regal genommen hat.«
»Vermutlich hat die Polizei gründlich gesucht.« Wieder spürte Charlotte, wie ihr die Hoffnung entglitt. »Wenn sich auf den Borden etwas hinter den Büchern befunden hätte, wäre das sicher recht bald entdeckt worden.«
»Wir könnten doch alle Bücher herausnehmen«, schlug Juno vor. »Wir haben ohnehin nichts Besseres zu tun, ich meine, ich.«
»Ich auch nicht«, sagte Charlotte rasch und warf einen prüfenden Blick auf die Regale. »Was wir suchen, befindet sich wohl auf keinen Fall hinter den Büchern, die er regelmäßig herausgenommen hat«, sagte sie. »Das wäre wohl zu sehr aufgefallen, wenn man ihn zufällig beobachtet hätte. Nehmen die
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