Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
Leben, an die er inzwischen gewöhnt war – und die er sich verdient hatte! Er war nicht sicher, ob er die Antwort würde ertragen können. Ein Blick auf Cornwallis’ Gesicht zeigte ihm, dass dieser ohnehin keine Antwort für ihn hätte.
    »Und ich soll im … East End leben?«, fragte er. Er hörte seine eigene Stimme. Der Schock ließ sie ausgedörrt und brüchig klingen, als hätte er tagelang kein Wort von sich gegeben. Er hatte diese Art zu sprechen schon von anderen gehört, denen er Unerträgliches hatte mitteilen müssen.
    Er schüttelte sich. Das hier war nicht unerträglich. Keiner seiner Lieben war verletzt oder tot. Zwar hatte er sein Heim eingebüßt, aber Charlotte, Daniel und Jemima wohnten nach wie vor darin. Nur er würde fehlen.
    Die Art, wie man ihn behandelte, war von einer zum Himmel schreienden Ungerechtigkeit! Er hatte nichts Unrechtes getan, sich nicht einmal ein Versehen zuschulden kommen lassen! Der Verurteilte war nachweislich schuldig. Er hatte den Geschworenen das Beweismaterial unvoreingenommen vorgelegt, sie hatten es gewürdigt und eine Entscheidung gefällt.
    Warum nur mochte Adinett Fetters umgebracht haben? Nicht einmal Juster war ein Motiv eingefallen. Nach Ansicht
aller waren die beiden denkbar eng befreundet gewesen, zwei Männer, die nicht nur eine Leidenschaft für Reisen in ferne Länder und für Gegenstände aneinander band, die sie wegen ihrer Beziehung zu Geschichte und Sagenwelt hoch schätzten, sie hatten auch viele Ideale und Träume für eine bessere Zukunft miteinander geteilt. Sie strebten eine weniger gewalttätige und offenere Gesellschaft an, die allen die Möglichkeit bot voranzukommen.
    Juster hatte überlegt, ob es bei ihrem Streit um Geld oder eine Frau hätte gehen können. Er hatte in beide Richtungen gesucht und nicht den geringsten Hinweis gefunden. Niemand hatte bis zu jenem Tag auch nur den Hauch einer Meinungsverschiedenheit zwischen den beiden bemerkt. Man hatte keine erhobenen Stimmen gehört. Als der Butler den Portwein in die Bibliothek gebracht hatte, schien zwischen den beiden Männern bestes Einvernehmen zu bestehen.
    Aber Pitt war sicher, dass er sich nicht geirrt hatte, was die Tatsachen betraf.
    »Pitt …« Cornwallis saß nach wie vor über den Tisch gebeugt und sah ihn mit ernster Miene an.
    Pitt wandte ihm erneut seine Aufmerksamkeit zu. »Sir?«
    »Ich werde tun, was ich kann.« Die Situation schien ihm peinlich zu sein, als wisse er, dass das nicht genügte. »Halten Sie durch! Seien Sie auf der Hut! Und … und trauen Sie um Gottes willen keinem Menschen.« Er hatte die Hände auf der polierten Eichenplatte verschränkt. »Gott ist mein Zeuge, wie gern ich etwas für Sie tun würde! Aber ich weiß ja nicht einmal, mit wem wir es da zu tun haben.«
    Pitt erhob sich. »Da kann man nichts machen«, sagte er ausdruckslos. »Wo finde ich diesen Victor Narraway?«
    Cornwallis gab ihm ein Blatt mit einer Adresse darauf: 14 Lake Street, Mile End New Town – am Rande der Gegend von Spitalfields. »Aber gehen Sie zuerst nach Hause, suchen Sie an Kleidung und persönlichen Gegenständen zusammen, was Sie brauchen. Seien Sie mit allem vorsichtig, was Sie Ihrer Frau sagen … Auf keinen Fall – « Er verstummte, hatte es sich offenbar anders überlegt. »Und vergessen Sie nicht, es gibt Anarchisten«, sagte er stattdessen. »Wirkliche, mit Dynamit.«
    »Vielleicht haben die da ja etwas vor.«
    »Möglich ist es. Nach dem Blutigen Sonntag auf dem Trafalgar Square kann mich nicht mehr viel überraschen. Allerdings liegt das mehr als vier Jahre zurück.« Pitt ging zur Tür. »Ich weiß, dass Sie getan haben, was Sie konnten.« Die Worte fielen ihm schwer. »Der Innere Kreis ist ein Krebsgeschwür, das im Verborgenen wuchert. So viel weiß ich … Ich hatte einfach nicht mehr daran gedacht.« Ohne auf eine Antwort zu warten, ging er hinaus, achtete nicht auf die Menschen, an denen er vorüberkam, hörte nicht einmal die Stimmen derer, die ihn ansprachen.
     
    Da er sich davor fürchtete, es Charlotte sagen zu müssen, tat er es lieber gleich.
    »Was gibt es?«, fragte sie, als er in die Küche kam.
    Sie stand an dem großen schwarzen Herd. Sonnenlicht erfüllte den Raum, es roch nach frischem Brot und der sauberen Wäsche, die auf einer Vorrichtung zum Lüften unmittelbar unter der Decke hing. Auf der Anrichte stand blau-weißes Porzellan und mitten auf dem gescheuerten Holztisch eine Schale mit Obst. Archie, der rötlich getigerte Kater, lag im

Weitere Kostenlose Bücher