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Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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leeren Wäschekorb und putzte sich, und sein Bruder Angus schlich hoffnungsfroh über die Fensterbank zu dem Milchkrug, der neben Charlotte stand.
    Die Kinder waren in der Schule, und Gracie war vermutlich oben oder zu einer Besorgung unterwegs. Hier in seinem Heim fühlte sich Pitt wohl, hier fand sich alles, was in seinem Leben angenehm war. Wenn er aus der Welt des entsetzlichen Verbrechens hierher zurückkehrte, wo ihn Normalität und frohes Lachen empfingen, das Bewusstsein, geliebt zu werden, konnte er vergessen, was er tagsüber erlebt hatte.
    Wie sollte er ohne das leben? Wie ohne Charlotte?
    Einen Augenblick lang erfüllte ihn blinde Wut gegen die ungreifbaren Männer, die ihm das angetan hatten. Es war unfassbar, dass man ihm gleichsam aus dem Hinterhalt nehmen konnte, was er am meisten liebte, dass sie die Möglichkeit hatten, ohne jemandem Rechenschaft ablegen zu müssen, in sein Leben einzudringen und es zu zerstören, wie man dürres Gras niedertrampelt. Am liebsten hätte er es ihnen mit Gleichem vergolten,
aber von Angesicht zu Angesicht, damit sie den Grund wussten und er in ihren Augen erkennen konnte, dass sie begriffen, warum ihnen das geschah.
    »Thomas, was gibt es?« In Charlottes Stimme lag unüberhörbar Angst. Mit fragendem Blick hatte sie sich zu ihm umgedreht, das Tuch noch in der Hand, mit dem sie sich vor der Hitze des Backofens schützte. Halb unbewusst sah er, dass Angus den Krug erreicht hatte und begann, sich an der Milch gütlich zu tun.
    »Man hat mich dem Sicherheitsdienst zugeteilt«, sagte er.
    »Was bedeutet das?«, wollte sie wissen. »Ich weiß nicht, was der Sicherheitsdienst tut.«
    »Man setzt ihn gegen Bombenwerfer und Anarchisten ein«, erklärte er. »Bis zum letzten Jahr waren das vor allem Fenier. Inzwischen geht es gegen jede Art von Unruhestifter oder politischem Attentäter.«
    »Warum ist das so schrecklich?« Sie sah ihn an, bemüht zu verstehen, welche Empfindungen hinter seinen Worten steckten. Sie zweifelte nicht, dass er litt, wollte aber den Grund dafür wissen.
    »Ich bin dann nicht mehr in der Bow Street und arbeite auch nicht mehr mit Cornwallis zusammen. Mein Vorgesetzter ist ein gewisser Narraway … und meine Dienststelle liegt in Spitalfields.«
    Sie krauste die Stirn. »Spitalfields? Der Ostteil der Stadt. Heißt das, du musst dann jeden Morgen zur Wache von Spitalfields fahren?«
    »Nein … ich soll dort als gewöhnlicher Bürger leben.«
    Allmählich trat Verstehen in ihre Augen, dann der Ausdruck von Verlorenheit und Wut.
    »Aber das ist … ungeheuerlich!«, sagte sie ungläubig. »Das können die doch nicht tun! Das ist schreiendes Unrecht! Wovor haben sie denn Angst? Glauben die, dass eine Hand voll Anarchisten eine Gefahr für ganz London bedeutet?«
    »Es hat in Wahrheit nichts mit der Jagd auf Anarchisten zu tun«, erklärte er. »Ich soll bestraft werden, weil John Adinett zum Inneren Kreis gehört und ich im Verfahren gegen ihn ausgesagt habe, bei dem er zum Tode verurteilt worden ist.«
    Ihr Mund wurde schmal. Alle Farbe war aus ihren Lippen gewichen. »Ich weiß. Hören die etwa auf Leute wie Gleave mit seinem Zeitungsartikel? Das ist doch lachhaft. Adinett war schuldig – dafür kannst du doch nichts!«
    Er sagte nichts.
    »Na schön«, sagte sie mit von Tränen erstickter Stimme und wandte sich ab. »Ich weiß, dass das nichts damit zu tun hat. Kann denn niemand helfen? Das Unrecht schreit zum Himmel!« Dann drehte sie sich wieder um. »Vielleicht Tante Vespasia – «
    »Nein.« Der Schmerz in ihm war nahezu unerträglich. Er sah sie an, wie sie vor ihm stand, hochrot vor Zorn und Verzweiflung. Ihre Frisur begann sich aufzulösen, Tränen standen in ihren Augen. Wie sollte er es ertragen, allein in Spitalfields zu leben, ohne sie jeden Tag nach Feierabend zu sehen, ohne mit ihr zu reden oder zu scherzen, vor allem, ohne sie zu berühren, ohne ihre Wärme in seinen Armen zu spüren?
    »Es ist ja nicht für ewig!« Das sagte er, um sie zu trösten, aber auch sich selbst. Er musste unbedingt den Blick auf die Zeit danach gerichtet halten, wann auch immer das sein würde. Er würde das keinen Tag länger als nötig ertragen. Bestimmt würde es eine Gelegenheit geben, etwas dagegen zu unternehmen, jedenfalls nach einer Weile.
    Sie sog die Luft hörbar ein. Sie konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten und suchte in ihrer Schürze nach einem Taschentuch.
    Mit einem Mal war er unentschlossen. Ursprünglich war es seine Absicht gewesen,

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