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Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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seine Sachen zusammenzupacken und sich sofort auf den Weg zu machen, um den Abschied nicht in die Länge zu ziehen. Das wäre das Einfachste, zumindest für die Kinder. Jetzt aber wollte er bleiben, solange es möglich war, und, da das Haus leer war, sich noch einmal in Liebe mit seiner Frau vereinigen, zum letzten Mal für eine lange Zeit.
    Würde das den Abschied erleichtern … oder würde es ihn erschweren, wenn er gehen musste – bald?
    Er verjagte diese Gedanken, schloss Charlotte in die Arme, küsste sie, drückte sie so fest an sich, dass sie leise aufschrie, worauf er gerade so viel nachgab, dass es sie nicht schmerzte. Dann gingen sie nach oben.
     
    Als er fort war, setzte sich Charlotte vor den Spiegel im Schlafzimmer und bürstete sich die Haare. Sie hatte ohnehin die wenigen Nadeln herausnehmen müssen, die noch darin waren, um sich neu zu frisieren. Sie sah fürchterlich aus. In ihren geröteten Augen brannten nach wie vor die Tränen, nicht mehr nur solche des Entsetzens und der Einsamkeit, sondern auch solche der Wut.
    Sie hörte, wie die Haustür ins Schloss fiel, dann ertönten Gracies Schritte in der Diele.
    Rasch nahm sie die Haare hoch, schob flink die Nadeln hinein und ging nach unten.
    Gracie stand mitten in der Küche. »Was is denn da passiert?«, fragte sie entsetzt. »Ihr Brot is ganz verbrannt. Sehn Se nur.« Dann begriff sie, dass etwas Schwerwiegendes geschehen sein musste. »Hat’s mit Mr. Pitt zu tun? Ihm is doch nix zugestoßen?« Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen.
    »Nein! «, gab Charlotte rasch zur Antwort. »Es geht ihm gut, ich meine, er ist unverletzt.«
    »Was is es dann?«, bohrte Gracie nach. Sie war starr, ihre Schultern waren angespannt, ihre kleinen Hände zu Fäusten geballt.
    Charlotte setzte sich. Das Vorgefallene ließ sich nicht in wenigen Worten berichten. »Man hat ihn von der Leitung der Wache in der Bow Street entbunden und zum Sicherheitsdienst im East End abkommandiert.« Nie wäre sie auf den Gedanken gekommen, ihrem Dienstmädchen etwas vorzuenthalten. Gracie war vor über sieben Jahren als dreizehnjähriges unterernährtes, heimatloses Waisenkind ins Haus gekommen. Zwar hatte sie damals weder lesen noch schreiben können, war aber im Besitz einer scharfen Zunge und eisern entschlossen gewesen, aus ihrem Leben etwas zu machen. In ihren Augen gab es keinen großartigeren Menschen als Pitt, niemand verstand seine Arbeit besser als er. Sie fühlte sich allen Dienstmädchen in Bloomsbury überlegen, weil sie für diesen Mann arbeiten durfte. Diejenigen unter ihnen, die für einen bloßen Lord arbeiteten, taten ihr aufrichtig Leid, denn nicht nur kannte deren Leben keine Aufregung und keinen Sinn, ihre Arbeitgeber waren in ihren Augen auch nichts weiter als nutzlose Tagediebe.
    »Worum geht es bei diesem Sicherheitsdienst?«, fragte sie misstrauisch. »Und wieso er?«
    »Ursprünglich hatte es mit den irischen Bombenwerfern zu tun«, erklärte Charlotte das Wenige, was sie wusste. »Jetzt arbeitet diese Einheit mehr gegen Anarchisten und Nihilisten, glaube ich.«
    »Was sind das für Leute?«
    »Anarchisten wollen jegliche Regierung abschaffen und ein großes Durcheinander anrichten – «
    »Dazu muss man keine Regierung abschaffen«, sagte Gracie herablassend. »Und was ist mit den anderen ›-isten‹?«
    »Nihilisten? Die wollen alles zerstören.«
    »Was für ’nen Sinn soll das haben? Dann haben die Torfköpfe doch selber nix mehr.«
    »Ja, es ist sinnlos«, stimmte Charlotte zu. »Ich glaube, dass sich diese Leute mehr von ihrer Empörung als von ihrem Verstand leiten lassen.«
    »Und denen soll Mr. Pitt also das Handwerk legen?« Gracie sah ein wenig hoffnungsvoller drein.
    »Er wird es versuchen. Und um sie aufzuspüren, muss er in Spitalfields leben.«
    Gracie war entsetzt. »Leben! In Spitalfields leben? Wissen die Leute denn nich, wie’s da zugeht? Da wohnt der Abschaum! Es starrt vor Dreck und stinkt zum Himmel! Kein Mensch ist da seines Lebens sicher.« Ihre Stimme wurde immer lauter. »Aber nich wegen Räubern oder Mördern oder weil man im Dunkeln überfallen werden kann – die Leute sterben da an fürchterlichen Krankheiten wie Pocken und so. Wer da ’n paar Bomben reinschmeißt, würde der Welt ’nen Gefallen tun. Sie müssen den Leuten unbedingt sagen, dass das nich geht. Für wen halten die Mr. Pitt eigentlich? Für ’nen x-beliebigen Greifer, der zu sonst nix taugt?«
    »Diesen Leuten sind die Verhältnisse dort bekannt«,

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