Die Verschwoerung von Whitechapel
angegriffen.«
»Er war im Fernen Osten?« Charlottes Ansicht nach war diese Mitteilung für sie völlig wertlos, aber da sie nicht über den geringsten Hinweis auf ein Tatmotiv verfügte, war sie bereit, an Material zusammenzutragen, was sie konnte.
Juno schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Ihn hat einfach die Kultur Japans fasziniert. Er hat ziemlich lange in Kanada gelebt und sich dort mit einem Japaner in der Hudson-Bay-Handelsgesellschaft angefreundet. Ich weiß nicht, wie er heißt. Er nannte ihn immer ›Shogun‹.«
»Er hat über ihn gesprochen?«
»O ja.« Ihr Gesicht war ausdruckslos. »Er war wirklich interessant. Ich habe mir all seine Geschichten angehört. Ich sehe ihn noch, wie er mir gegenüber am Esstisch saß und uns über seine Reisen durch Kanadas Schneewüsten berichtet hat. Er hat uns das Licht geschildert, die Kälte, den endlosen Polarhimmel, die Tiere der Wildnis und vor allem die Schönheit des Landes.«
Man hörte ihrer Stimme an, mit welcher Liebe er das geschildert haben musste.
»Es hat wohl 1870 unter Anführung eines Franko-Kanadiers namens Louis Riel einen kurzlebigen Aufstand in Manitoba gegeben. Die Leute haben sich dagegen aufgelehnt, dass die Briten alles an sich rissen, und den einen oder anderen getötet.« Sie verzog das Gesicht. »Daraufhin haben die Briten unter Colonel Wolesley eine Strafexpedition losgeschickt. Adinett und Shogun haben sich freiwillig bereit erklärt, ihr als Führer ins Landesinnere zu dienen. Von der Thunder Bay aus, knapp siebenhundert Kilometer nördlich von Toronto, haben sie die Leute über tausend Kilometer weit geführt. Über diese Expedition hat er oft gesprochen.«
Auch wenn das weit interessantere Tischgespräche als die üblichen gewesen sein mochten, konnte Charlotte darin nichts entdecken, was mit dem Mord an Fetters zu tun haben könnte. Wie nur war es zu einem so heftigen Streit gekommen, dass er in einen Mord gemündet hatte?
»Wurde der Aufstand niedergeschlagen?« Sie vermutete das, hatte es aber nicht gehört.
»Ja. Allem Anschein nach sogar äußerst erfolgreich.« Juno
sah Charlottes verwirrten Blick. »Adinett hat eine sehr enge Beziehung zu den Franko-Kanadiern entwickelt«, erklärte sie. »Er hat oft und mit großer Wärme von ihnen gesprochen. Er war voller Bewunderung für das Republikanertum der Franzosen und die Leidenschaft, mit der sie nach Freiheit und Gleichheit strebten. Er ist oft nach Frankreich gereist, war noch vor wenigen Monaten dort. Die Leidenschaft, mit der die beiden eine Gesellschaftsreform anstrebten, war der eigentliche Kern dessen, was er mit Martin gemeinsam hatte.« Sie lächelte bei der Erinnerung. »Sie haben stundenlang darüber geredet und nach Möglichkeiten gesucht, wie sich das verwirklichen ließe. Martin hat die Urdemokratie im Griechenland der Antike auf diesen Gedanken gebracht, während sich Adinett vom revolutionären Idealismus der Franzosen inspirieren ließ, aber ihre Ziele waren sehr ähnlich.« Wieder füllten sich ihre Augen mit Tränen. »Ich verstehe einfach nicht, was zu einem Streit zwischen ihnen geführt haben könnte!« Ihre Augenlider zuckten, und ihre Stimme begann zu zittern. »Könnte es sein, dass wir uns irren?«
Charlotte war nicht bereit, diesen Gedanken auch nur zu erwägen.
»Ich weiß nicht. Überlegen Sie doch bitte, ob sich Mr. Fetters aus irgendeinem Grund über ihn geärgert oder über eine Meinungsverschiedenheit zwischen ihnen gesprochen hat.« Allerdings schien ihr diese Fährte nicht viel versprechend. Wer außer einem Verrückten würde sich bis aufs Blut mit jemandem über die Frage streiten, welches von zwei fremden Ländern die bessere Form der Demokratie entwickelt hatte?
»Geärgert nicht«, sagte Juno und sah Charlotte an. »Aber ihn schien etwas zu bedrücken. Ich würde sagen, er hat sich Sorgen gemacht, doch mehr war das wirklich nicht. Andererseits wirkte er, wenn er in seine Arbeit vertieft war, immer ein wenig geistesabwesend.« Mit geradezu beschwörender Stimme sagte sie: »Er war einfach brillant, hat immer wieder antike Stücke gefunden, auf die vor ihm offenbar niemand geachtet hatte. Er konnte den Dingen ihren Wert ansehen. In letzter Zeit hat er mehr darüber geschrieben, für verschiedene Zeitschriften, hat Kongresse besucht und dergleichen. Er war ein begnadeter Redner, die Leute haben ihm gern zugehört.«
Charlotte konnte sich das leicht vorstellen. Selbst auf dem Foto hatte sein intelligentes Gesicht begeistert
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