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Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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tun, an dem er arbeitet. Ich muss ihm was sagen.« Selbstverständlich hatte sie sich diese Erklärung aus den Fingern gesogen, aber sie musste unbedingt mit ihm sprechen, und dazu war jeder Vorwand recht. Sie würde ihm die Situation zu gegebener Zeit erklären.
    Der Mann schien nicht beeindruckt. »Aha. Und was wäre das?«
    »Was sehr Wichtiges«, gab sie zurück. »Es is Wachtmeister Tellman bestimmt nich recht, wenn Sie ihm nich sagen, dass ich hier bin. Ich heiß Gracie Phipps. Sagen Sie ihm das einfach – dann kann er ja selber entscheiden, ob er mit mir sprechen will oder nich.«
    Der Mann musterte sie lange und überlegte, dass das junge Mädchen mit den kampflustigen Augen trotz seiner geringen Größe lästig werden konnte. Er wusste so gut wie nichts über Tellmans Privatleben, da dieser ausgesprochen einsilbig war, und so beschloss er, es lieber nicht darauf ankommen zu lassen. Er wusste aus Erfahrung, dass Tellman sehr unangenehm werden konnte, wenn man ihm mit etwas in die Quere kam.
    »Warten Sie hier.«
    Nach nicht einmal fünf Minuten erschien Tellman mit dem gewohnten mürrischen Ausdruck auf dem Gesicht in der Wachstube. Er war so korrekt gekleidet wie immer und schien sich in seinem engen Kragen und mit dem glatt zurückgekämmten Haar nicht recht wohl zu fühlen. Seine eingefallenen Wangen waren leicht gerötet. Ohne weiter auf den Kollegen zu achten, trat er zu Gracie.
    »Was gibt es?«, fragte er halblaut. »Was wollen Sie hier?«
    »Feststellen, was Sie tun«, gab sie zur Antwort.
    »Was ich tue? Ich bearbeite Einbrüche.«
    Ihre Brauen schossen in die Höhe. »Was Besseres ha’m Se wohl nich zu tun? Und dabei hat man Mr. Pitt auf die Straße gesetzt und Gott weiß wohin geschickt, und seine Frau weiß nich aus noch ein. Die Kinder ha’m kein’ Vater im Haus … und Sie rennen hinter Einbrechern her!«
    »Hier geht es nicht um Kleinigkeiten«, sagte er ärgerlich, aber immer noch leise. »Wir haben es hier mit einem ausgewachsenen Safeknacker zu tun.«
    »Und das is ’n Grund?« Ihr Abscheu war vernichtend. »Irgend’n blöder Geldschrank is Ihnen wichtiger wie das, was man Mr. Pitt angetan hat?«
    »Ist es nicht!« Sein Gesicht war bleich vor Zorn. Dieser Zorn galt zu gleichen Teilen ihr, ihrer Fehleinschätzung seines Wesens und der Ungerechtigkeit, mit der man Pitt behandelt hatte. »Aber ich kann nichts daran ändern!«, sagte er ungehalten. »Die werden ja wohl nicht auf mich hören, oder? Man hat bereits einen anderen auf den Platz gesetzt, obwohl der Stuhl noch warm war. Dieser Wetron hat mir gesagt: ›Lassen Sie es gut sein, denken Sie nicht weiter darüber nach – was passiert ist, ist passiert‹«.
    »Und Sie tun natürlich auch treu un brav, was der von Ihnen verlangt!«, fuhr sie ihn mit blitzenden Augen an. »Dann muss ich mich wohl alleine um die Sache kümmern, was?« Sie biss sich auf die Lippe, damit diese nicht verräterisch zitterte. »Ich bin tief enttäuscht von Ihnen. Ich hatte mich auf Ihre Hilfe verlassen und dachte, dass Sie trotz Ihrem ständigen Gemurre und Gemaule irgendwo doch ’ne treue Seele sind … oder zumindest auf Anstand achten … und was man da gemacht hat, war nich einwandfrei!«
    »Natürlich nicht!«, sagte er mit gepresster Stimme. »Es ist bitteres Unrecht, aber dahinter steht die Macht. Wenn Sie wüssten, was für Leute das sind, würden Sie nicht herkommen und so tun, als würde es genügen, dass ich sage, man sollte Mr. Pitt Gerechtigkeit widerfahren lassen, worauf die dann erwidern, ›aber selbstverständlich‹, und alles würde anders. Mr. Wetron hat gesagt, ich soll die Sache auf sich beruhen lassen. Mit Sicherheit hat er ein Auge auf mich, um zu sehen, ob ich mich daran halte. Ich würde mich gar nicht wundern, wenn er selbst einer von denen wäre!«
    Gracie sah Tellman verblüfft an. In seinen Augen lag eindeutig Furcht, und einen Moment lang war auch sie verängstigt. Sie wusste, dass er viel für sie empfand, auch wenn er es sich selbst nicht eingestehen mochte, und dass es ihm sicher sehr schwer fiel, ihr so offen zu zeigen, wie ihm zumute war. Sie beschloss, ein wenig freundlicher zu ihm zu sein.
    »Schön, aber wir müssen was tun! Wir können die Sache nich einfach laufen lassen. Er is nich mal mehr zu Hause.« Ihre Stimme bebte. »Die ha’m ihn nach Spitalfields geschickt. Da soll er nich nur arbeiten, sondern muss da auch wohnen.«
    Tellman, der nach wie vor stocksteif dastand, verzog das Gesicht, als hätte man ihn

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