Die Verschwoerung von Whitechapel
reichten von Glauben, Literatur, Architektur und Kunst seit den Tagen Sultan Saladins über die anderen großen Herrscher des Reiches bis hin zu dessen gegenwärtiger schwieriger politischer Lage.
Juno Fetters sah ihr zu.
»Mit seinen Reisen hat Martin angefangen, als er in der Türkei Eisenbahnen baute«, sagte sie ruhig. »In jener Zeit hat er John Turtle Wood kennen gelernt und ist durch ihn auf die Archäologie gestoßen. Nach einer Weile hat er gemerkt, dass er dafür eine Begabung hatte.« Stolz lag in ihrer Stimme und Sanftheit in ihren Augen. »Er hat einige wunderbare Dinge entdeckt. Er hat mir immer alles gleich gezeigt, wenn er damit heimkam. Er hat dann mit den Gegenständen in der Hand hier in diesem Zimmer gestanden … Er hatte schöne, kräftige und zugleich fein geformte Hände. Er hat die Fundstücke langsam hin- und hergedreht, ist mit den Fingern über ihre Oberfläche gefahren, hat mir gesagt, woher sie stammten, wie alt sie waren und was für Menschen sie verwendet hatten.«
Sie holte Luft und fuhr fort: »Er hat mir alles beschrieben, was er über deren Alltagsleben wusste. Ich erinnere mich noch genau an eine Keramik. Es war nicht, wie ich zuerst dachte, ein Essgefäß, sondern eine Art niedriger Krug für Spezereien. Vielleicht ist meine Fantasie mit mir durchgegangen, aber als ich ihn so erregt vor mir sah, konnte ich mir richtig vorstellen, wie es war, als die schöne Helena Männer mit einer solchen Leidenschaft erfüllte, dass zwei Völker ihretwegen in den Krieg gezogen sind und eins davon zugrunde gerichtet wurde.«
Charlotte spürte, was es bedeutet, den Mann zu verlieren, den man liebt, der voller Leben, Träume und Pläne war. Sie war zornig über das Unrecht, das man Pitt angetan hatte, und begehrte dagegen auf, dass Männer, deren Namen sie nicht einmal wusste, die Macht hatten, ihm so vieles zu nehmen.
»Wo hat er Adinett kennen gelernt?«, erkundigte sie sich. So interessant Archäologie war, durfte sie ihre Zeit nicht mit solchen Dingen verschwenden.
Juno kam wieder zur Sache.
»Das war viel später. Martin hat eine Menge von Wood gelernt, ist dann aber über ihn hinausgewachsen. Er ist Heinrich Schliemann begegnet und hat mit ihm zusammengearbeitet. Von den Deutschen hat er allerlei neue Methoden gelernt.« Auf ihrem Gesicht lag Begeisterung. »Das waren die besten Archäologen. Statt hier und da ein Stückchen haben sie immer
das ganze Gelände kartiert und aufgenommen, sodass sich anschließend jeder ein Bild vom Alltag damals machen konnte, nicht nur von einem Haushalt oder vielleicht einem Teilaspekt des Lebens, wie man ihn beispielsweise an einem Tempel oder einem Palast ablesen kann.« Ihre Stimme wurde leiser. »Martin war ganz begeistert.«
»Wann war das?«, fragte Charlotte und nahm in einem der Sessel Platz.
Juno setzte sich ihr gegenüber. »Ach je … ich glaube nicht, dass ich noch weiß, wann Martin Mr. Wood kennen gelernt hat, aber ich erinnere mich genau, dass sie 1863 mit der Grabung in Ephesus angefangen haben. Ich glaube, das Britische Museum hat das Gelände dann ’69 gekauft, und sie haben mit der Arbeit am Diana-Tempel begonnen. Im Jahr darauf hat Martin wohl Schliemann kennen gelernt.« Ihre Augen blickten in die Ferne. »Auf jene Zeit geht seine Liebe zu Troja und dem Projekt zurück, die Stadt zu finden. Er konnte lange Passagen von Homers Ilias auswendig hersagen …« Sie lächelte. »In der englischen Übersetzung, nicht im Original. Anfangs dachte ich, es würde mich langweilen, aber das war nicht der Fall. Ihm lag so viel daran, dass ich mich unwillkürlich auch dafür interessiert habe.«
»Und Adinett war ein Fachmann auf demselben Gebiet?«, fasste Charlotte nach.
Juno sah verblüfft drein. »Aber nein! Überhaupt nicht. Vermutlich ist er nie im Mittleren Osten gewesen. Soweit ich weiß, hatte er keinerlei Beziehung zur Archäologie, denn ich bin sicher, dass mir Martin das gesagt hätte.«
Charlotte war verwirrt. »Ich dachte, sie waren gute Freunde, die viel Zeit miteinander verbrachten …«
»Das stimmt«, bestätigte Juno. »Aber was sie gemeinsam hatten, waren Ideale, eine gewisse Bewunderung für andere Völker und Kulturen. Adinett beschäftigte sich mit Japan, seit sein älterer Bruder zur britischen Gesandtschaft in Jedo entsandt wurde – ich glaube, so hieß damals die Hauptstadt. Soweit ich weiß, haben reaktionäre Kräfte, die es darauf abgesehen hatten, alle Ausländer aus dem Lande zu vertreiben, die Gesandtschaft
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