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Die Verschwoerung von Whitechapel

Die Verschwoerung von Whitechapel

Titel: Die Verschwoerung von Whitechapel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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herauskamen.
    »Arbeitet ihr die ganze Nacht durch?«, fragte er neugierig.
    »Nur an den Kesseln. Da darf das Feuer auf keinen Fall ausgeh’n. Warum fragst du? Willst du Nachtschicht schieben?«
    Das war zwar keineswegs Pitts Absicht, aber seine Neugier veranlasste ihn, weiter zu fragen.
    »Wieso, gibt es auf der Nachtschicht Arbeit?«
    Der Mann sah ihn an. »Möglich. Willst du einspringen, wenn einer von den Leuten krank wird?«
    »Ja«, sagte Pitt sofort.
    »Wo wohnst du denn?«
    »Heneagle Street, hier gleich um die Ecke.«
    »Mhm. Na ja, vielleicht geben wir dir Bescheid … oder vielleicht auch nicht. Meld dich da drin.« Er wies auf eine kleine Tür in der Seite des Gebäudes.
    »Wird gemacht«, gab Pitt zurück. »Danke.«
    Mehrere Tage lang meldete sich niemand. Die Arbeit in Sauls Seidenweberei war abwechslungsreicher, als er angenommen hatte. Er bewunderte die leuchtend bunten feinen Fäden und sah zu, wie daraus Brokat gewebt wurde, wobei herrliche Muster entstanden.
    Saul beobachtete ihn belustigt. Im Unterschied zu sonst wirkten die Züge seines dunklen, schmalen Gesichts entspannt.
    »Sie sind wohl nicht von hier«, sagte er eines Montagnachmittags Anfang Juni. »Warum tun Sie diese Arbeit? Es ist nicht Ihr Beruf.«
    »Von irgendetwas muss ich leben«, erwiderte Pitt und wandte sich ab. Er mochte Saul, der immer sehr anständig zu ihm
gewesen war, erinnerte sich aber auch an Narraways Mahnung, keinem Menschen zu trauen. »Isaak hat gesagt, es sei schwer, in der Zuckerfabrik Arbeit zu finden, wenn man dort niemand kennt.«
    »Das stimmt«, gab ihm Saul Recht. »Alle wollen Arbeit, und auch das Leben eines Straßenhändlers ist hart. Man macht sich leicht Feinde. Jeder hat seinen eigenen Bezirk, und schon so manchem hat man die Kehle durchgeschnitten, weil er im Bezirk eines anderen erwischt worden ist.«
    Pitt fragte sich, welche Art Druck Narraway ausgeübt haben mochte, um Saul zu veranlassen, dass er ihm Arbeit gab. Ihm fiel auf, dass die meisten Juden, zu denen er bei seinen Botengängen kam, ihre eigenen Leute beschäftigten. Allerdings war das auch bei anderen Minderheiten üblich.
    »Das glaube ich«, sagte er und lächelte. »Die Straße zu fegen ist hier in Spitalfields auch kein Zuckerlecken.«
    »Es gibt Schlimmeres«, knurrte Saul.
    Pitt sah ihn ungläubig an.
    »Das können Sie ruhig glauben«, sagte Saul mit unerwartetem Nachdruck, wobei seine Augen glänzten. »Zugegeben, Spitalfields ist arm, schmutzig und stinkt zum Himmel, aber man ist hier sicherer als an so manchem Ort, wo ich gelebt habe … jedenfalls im Augenblick. Hier kann man seine Meinung sagen, lesen, wonach einem der Sinn steht, und auf die Straße gehen, ohne dass man Angst haben muss, verhaftet zu werden.« Mit hängenden Schultern und angespanntem Gesicht beugte er sich vor. »Vielleicht wird man ausgeraubt, von Straßenlümmeln und religiösen Eiferern überfallen … das kommt vor.« Er stieß einen leisen Seufzer aus. »Das ist aber wahrscheinlich an anderen Orten auch nicht besser. Zumindest passiert es hier nur von Zeit zu Zeit und ist nicht staatlich organisiert«, fügte er mit schiefem Lächeln hinzu. »Manche Polizisten sind bestechlich und die meisten unfähig – aber heimtückisch sind sie nicht, wenn man von Einzelfällen absieht.«
    »Bestechlich?«, fragte Pitt unwillkürlich. Im nächsten Augenblick bedauerte er seine Äußerung.
    Saul schüttelte den Kopf. »Sie sind wirklich nicht von hier, was?«
    Pitt sagte nichts.
    »Hier passiert so allerlei«, fuhr Saul fort. »Man zieht am besten den Kopf ein und kümmert sich um seine eigenen Angelegenheiten. Sollten Herren aus dem Westen hier auftauchen, ist es das Beste, Sie sehen sie nicht und wissen nichts davon. Haben Sie verstanden?«
    »Sie meinen, wegen Frauen?« Pitt war überrascht. Es gab zwischen dem Haymarket und dem Hyde Park und auch an anderen Orten des Westens mehr als reichlich gehobene Prostituierte. Dafür brauchte niemand hierher zu kommen, wo es finster, schmutzig und möglicherweise auch gefährlich war.
    »Unter anderem.« Saul biss sich auf die Lippe und ließ seinen Blick schweifen. »Hauptsächlich sind es Dinge, nach denen man besser nicht fragt. Wie gesagt, am besten weiß man von nichts.«
    Pitts Gedanken überstürzten sich. Sprach der Mann von privaten Lastern oder über Pläne zum öffentlichen Aufruhr, den Narraway befürchtete?
    »Wenn es etwas mit mir zu tun hat, geht es mich auch an«, sagte Pitt.
    »Dann müssen Sie eben

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