Die verschwundene Lady (German Edition)
als Anne sich zur Tür wan dte. Er folgte ihr jedoch nicht.
*
Am Abend erhielt Anne einen Anruf von einer Freundin, die sie aufforderte, am kommenden Abend mit ihr und der Clique einen Film zu besuchen.
»Er hat in Cannes bei den Filmfestspielen die Goldene Palme erhalten.«
»Dann muss er ein rechter hochgestochener Langweiler sein. Ich bin eigentlich nicht in der Stimmung für diesen Film.«
»Du vergräbst dich ja regelrecht, Anne. Was ist los mit dir? Hast du Liebeskummer?« Shirley, die Freundin, plapperte munter von ihren Beziehungskisten drauflos, wie sie es nannte. »Nach dem Kino gehen wir ins > Athenäum <. Das ist das schicke neue Trendcafe am Rüssel Square.«
»Ach, diese Yuppie-Hütte! Wer da kein Lacoste-Hemd oder teuerste Turnschuhe anhat, wird gleich abgewiesen.«
»Du sagst es. Über die Typen dort kann man sich toll amüsieren. Du mußt mal wieder unter die Leute.«
Shirley war eine tolle Nudel. Ehe sie sich ’ s versah, hatte Anne zugesagt. Vor lauter Sorge wurde sie sonst noch ganz grämlich. Später, als Anne im Bett lag, klingelte ihr Telefon. Die Leuchtziffern des Radioweckers zeigten, dass es kurz vor Mitternacht war.
Anne stieg verschlafen aus dem Bett und hob ab.
»Ja?«
Keine Antwort. Am anderen Ende war nur das Atmen eines Menschen zu hören.
»Wer ist da? Was wollen Sie?«
Als wieder keine Antwort erfolgte, legte Anne auf. Wieder mal so ein Witzbold, der alleinstehende Frauen anruft, dachte sie, um sie zu erschre c ken. Aber so leicht sollte er es bei ihr nicht haben.
Anne hatte sich kaum ins Bett gelegt, als das Telefon abermals läutete. Das ist er wieder, dachte sie und blieb liegen. Nach dem achten Läuten stand sie aber doch auf, weil das Klingeln sie nervte. Anne verstellte ihre Stimme.
»Polizeiwache St. Pancras«, sagte sie mit einem imitierten Bass . »Sergeant Connally.«
»Mich kannst du nicht täuschen, du Luder !«, erwiderte eine verzerrte, gepresste Stimme. »Ich warne dich. Stelle deine Nachforschungen ein, oder du wirst es bereuen. Deiner Mutter geht .es gut. Sie hat ihre Gründe, sich derzeit verborgen zu halten, und sie will nicht, dass du ihr nachspionierst. - Gib Ruh e , oder du wirst es büßen!«
»Wer sind Sie?«
»Ein Freund deiner Mutter, der es gut mit dir meint, Anne.«
Der Anrufer legte auf. Anne erwog, sich sofort an Peter Stanwell zu wenden, verschob es aber auf den folgenden Tag. Sie war kaum eingeschlafen, als das Telefon sie abermals weckte. Es war wieder die gleiche Stimme.
»Ich bin es wieder. Willst du mich sehen, Anne? Ich bin ganz in deiner Nähe.«
»Das hängt davon ab«, antwortete Anne vorsichtig. »Wo sind Sie?«
»Ich stehe vorm Haus. Wenn du vom aus dem Fenster schaust, kannst du mich erblicken. Ich warte genau fünf Minuten.«
Hastig zog Anne den Hausmantel über, verließ ihre Wohnung und ging durchs kühle, stille Treppenhaus, ohne das Licht anzuknipsen, ans Vorderfrontfenster. Sie spähte hinaus. Der Nebel wallte vorm Fenster. Die Straßenlampe auf der anderen Straßenseite erzeugte darin eine Lichtinsel mit verwaschenen Rändern.
In ihrem Lichtbereich stand ein Mann im Trenchcoat, den Hut tief ins Gesicht gezogen, das Anne nicht zu erkennen vermochte. Er hatte die Hände in den Manteltaschen vergraben. Als ob er feststellen könnte, dass Anne ihn sah, hob er wie zu einem spöttischen Gruß die Hand. Dann drehte er sich um und verschwand wie ein Schemen im Nebel. Anne blinzelte. Der Unbekannte blieb verschwunden.
Sie wissen, wo ich wohne, dachte sie. Sie sind hinter mir her!
Die Frage war, wer sie waren, und als wie gefährlich man sie einschätzen musste . Anne fand für den Rest der Nacht wenig Schlaf, obwohl das Telefon nicht mehr klingelte. Den Tag über erhielt sie keine Anrufe mehr, getraute sich jedoch kaum aus dem Haus u nd schreckte bei jedem unverhofften Geräusch zusammen.
Der Kater Captain Silver befand sich wieder in Annes Wohnung. Am Abend, als sie zu dem Treffen mit ihren Freunden fuhr, ließ ihn Anne dort zurück. Sie hatte mit Peter Stanwell telefoniert und war mit ihm übereingekommen, bis zum Ergebnis seiner Recherchen abzuwarten. Sich zu dem Zeitpunkt an die Polizei zu wenden, hielt der Anwalt für unzweckmäßig. »Wir haben noch viel zu wenig Beweismaterial auf der Hand, dass ein Verbrechen vorliegen könnte. Außerdem könnte es deiner Mutter schaden, wenn sie sich in der Hand dunkler Existenzen befindet.«
»Es wäre also besser, weiter auf eigene Faust vorzugehen, Onkel
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