Die versteckte Lust der Frauen - ein Forschungsbericht
weil es ihr nach jahrelanger Sehnsucht endlich gelungen war, die Schranken zwischen ihrem Körper und dem einer anderen Frau zu überwinden, und sie in dieser Hinsicht sozusagen ihre Jungfräulichkeit verloren hatte. Zum anderen hatte es ihr ganz abgesehen von diesem Durchbruch ein ungeheures Vergnügen bereitet, unter anderem die Brustwarzen der Prostituierten in den Mund zu nehmen.
Als Rebecca sich mit mir darüber unterhielt, meinte sie zwar, sie hoffe auf einen weiteren Dreier und könne sich auch vorstellen, allein mit einer Frau zu schlafen, trotz dem hielt sie sich nicht für lesbisch oder bisexuell. Sie hatte keinerlei Zweifel daran, dass sie für eine Beziehung Männer bevorzugte. In ihren sexuellen Fantasien kamen hauptsächlich Männer vor, sie war nach wie vor mit demselben Freund glücklich und hätte ihn auf keinen Fall durch eine Frau ersetzen wollen. Daraufhin erzählte ich ihr von Meredith Chiversâ Ergebnissen mit dem Plethysmographen und bat sie um ihre Meinung dazu.
Lachend meinte sie, man sollte daraus nicht folgern, dass Frauen sich insgeheim Sex mit Bonobos wünschten. Und es erschien ihr auch nicht richtig, die meisten Frauen als bi zu betrachten, obwohl sich viele von ihnen, wie sie selbst, wünschten, mit Frauen zu schlafen, oder sich dies wünschen würden, wenn sie sich nur selbst diese Erkenntnis erlaubten. »Es ist schwer, die richtigen Worte dafür zu finden«, sagte sie. »Der Begriff, der mir immer wieder durch den Kopf geht, ist eine Schwangerschaft des Wollens. Dabei ist Schwangerschaft kein so gutes Wort â eben weil es Schwangerschaft bedeutet. Es geht ja darum, dass es immer vorhanden ist. Oder immer bereit. Und so vieles auslösen kann. Dinge, die man tatsächlich will oder auch nicht will. Schwanger. Erfüllt. Die Schwangerschaft weiblichen Verlangens. Besser kann ich es nicht ausdrücken.«
Fremder. Guter Freund. Langjähriger Sexualpartner.
Darauf konzentrierte sich ein neues Experiment, das Chivers bei einem meiner Besuche gerade beendet hatte. Die Resultate lieÃen ihren Puls schneller schlagen.
Und das passierte nicht allzu oft, denn die täglichen Mühen ihrer Forschungsarbeit waren hart: Das Büro in Kingston besaà den Charme einer Mönchszelle. Die rauen Betonwände waren fast nackt. Nur über ihrem Schreibtisch hingen ein paar violette und grüne Kleckse, die ihr kleiner Sohn gemalt hatte. An der Wand gegenüber befand sich ein kleines Triptychon aus drei Fotos, die sie von Reliefs in einem indischen Tempel gemacht hatte: Auf dem ersten Bild kopulierte ein Mann mit einer Stute, während ein anderer masturbierte; auf dem mittleren leckte ein Paar sich gegenseitig die Genitalien; das dritte Foto zeigte sieben Menschen in orgiastischer Trance. So aufregend die Darstellungen auch sein mochten, sie waren doch sehr klein und das Ganze dadurch leicht zu übersehen. Die kahlen Mauern dominierten; die Ablenkung war minimal, und genau so wollte es die Wissenschaftlerin. So konnte sie sich ganz auf den Kern ihres Interesses konzentrieren: den Dschungel weiblichen Verlangens.
Eines Morgens an ihrem Metallschreibtisch und während das gedämpfte Novemberlicht durchs Fenster fiel, beugte sie sich über ihren Laptop und durchforstete die Aufzeichnungen des Plethysmographen im Rahmen ihrer jüngsten Studie. Ihre Augen folgten einer gezackten roten Linie, die über den Bildschirm lief und Sekunde für Sekunde die Durchblutung der Probandin wiedergab. Bevor Chivers die Daten mithilfe eines Computerprogramms verarbeiten und ihre Bedeutung herauslesen konnte, musste sie irrefüh rende Bestandteile eliminieren, die etwa daher rührten, dass eine Teilnehmerin ihre Sitzposition geändert und dabei eine leichte Kontraktion im Becken ausgelöst hatte, die wiederum den Plethysmographen angestoÃen hatte. So ein Ruck bei den Aufzeichnungen konnte das Gesamtergebnis verzerren. Daher verfolgte sie langsam das zittrige Zickzackmuster der Linie und suchte nach Stellen, wo eine ungewöhnliche Spitze sie vermuten lieÃ, dass hier keine Erregung vorlag und das entsprechende Intervall für ihre Studie nicht relevant war. Sie markierte und löschte so eine Aberration und suchte dann mit leicht zusammengekniffenen Augen weiter. Etwa zwei Stunden dauerte es, die Daten einer einzigen Probandin vorzubereiten. »Wahrscheinlich werde ich bald blind«, sagte sie zu sich selbst,
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