Die versteckte Lust der Frauen - ein Forschungsbericht
allgemein verbreiteten Annahme, weibliche Sexualität gedeihe am besten durch emotionale Nähe, gewachsene Intimität und ein Gefühl von Sicherheit. Stattdessen funktioniert es erotisch auf die wilde Tour am besten. Diese Vorstellung war zwar auch nicht mehr ganz neu, doch sie schien bislang eher die Ausnahme als die Regel zu sein: Das Unbekannte sage demnach nur wenigen Frauen zu; für die meisten sei es lediglich Stoff für gelegentliche Fantasien. Hier lag nun der wissenschaftliche Gegenbeweis vor, Hinweise auf eine neue, unverblümte Norm.
Meredith Chiversâ Arbeit stützte nicht nur die These von der Kluft zwischen Vagina und Verstand, sondern auch zwischen Realität und Erwartungen. Auch andere Wissenschaftler in ihrem Umfeld zogen lieb gewonnene Ãberzeugungen in Zweifel. Zum Beispiel diejenige, wonach weib liche Sexualität weniger visuell ist als männliche. Kim Wallen, Professor für Psychologie an der Emory University, arbeitete mit der Sexologin (seiner ehemaligen Studentin) Heather Rupp vom Kinsey Institute zusammen. Die beiden zeigten männlichen und weiblichen Probanden erotische Fotos. Dabei maÃen sie bis auf Hundertstelsekunden genau die Zeit, bis die Zuschauer den Blick abwandten, um so deren Interesse zu registrieren. Frauen sahen sich die Pornografie genauso lange an wie Männer, schienen also genauso gefesselt davon.
Terri Conley, Psychologin an der University of Michigan, beschäftigte sich über Jahre mit einer Reihe von Studien, die in den vergangenen 40 Jahren durchgeführt wurden und wiederholt belegten, dass Männer für unverbindlichen Sex zu haben sind, Frauen dagegen mehrheitlich nicht. Bei zweien dieser Experimente wurden Männer und Frauen â nach Beschreibung der Wissenschaftler handelte es sich um »durchschnittlich attraktive Menschen« um die 20 Jahre â auf einen College-Campus geschickt, um 200 Personen des anderen Geschlechts Avancen zu machen. Sie fragten entweder nach einer Verabredung oder »Würdest du heute Abend mit mir ins Bett gehen?«. Bei der Verabredung willigten jeweils etwa 50 Prozent der Männer oder Frauen ein. Doch fast drei Viertel der männlichen Angesprochenen und keine der weiblichen wollten ins Bett. Diese Ergebnisse wurden immer herangezogen, wenn man zeigen wollte, dass zwischen männlichem und weiblichem Verlangen nicht nur ein riesengroÃer, sondern ein kategorischer Unterschied besteht. Terri Conley entwarf eine Versuchsanordnung, um sich dem Thema auf andere Weise zu nähern.
Ihre 200 Probanden im College-Alter â allesamt heterosexuell â sollten sich Folgendes vorstellen: »Du hast das Glück, deine Winterferien in Los Angeles zu verbringen. Eines Tages, nachdem du schon ungefähr eine Woche dort verbracht hast, beschlieÃt du, ein angesagtes Café mit Meerblick in Malibu zu besuchen. Während du an deinem Drink nippst, schaust du hoch und bemerkst, dass Johnny Depp nur ein paar Tische entfernt sitzt. Du traust deinen Augen kaum! Noch erstaunlicher ist, dass er deinen Blick auffängt und anschlieÃend auf dich zukommt â¦Â«
»Würdest du heute Abend mit mir ins Bett gehen?«, fragt Depp die Probandinnen. Nach ihm genauso Brad Pitt und Donald Trump. Die Männer bekamen Avancen von Angelina Jolie, Christie Brinkley (Terri Conley suchte das amerikanische Supermodel aus, um herauszufinden, ob in einem Alter von über 50 der Appeal trotz der ausgesprochenen Schönheit litt â offenbar nicht) und Roseanne Barr. Das Experiment lieà gesellschaftliche Stellung genauso beiseite wie gesundheitliche Risiken, denen eine Frau ausgesetzt wäre, die sich auf Sex mit einem Fremden einlässt. Conleys Konstrukt setzte ausschlieÃlich auf die Fantasie, die oft eine klarere Sicht auf das Verlangen bietet. Die Testteilnehmer sollten angeben, wie stark sie sich von den Avancen angesprochen fühlten. Die Frauen waren ganz genauso begierig danach, sich mit Depp und Pitt einzulassen, wie die Männer nach Jolie und Brinkley lechzten. Sie waren gleich lüstern, impulsiv und triebgesteuert. Trump fiel dagegen genauso durch wie Barr.
Meredith Chivers fand bei ihrem nächsten Experiment etwas heraus, das ihre bisherigen Resultate verkomplizierte. Doch es half auch, etwas aus der groben Darstellung weiblicher Lust, die ihre Arbeiten und die ihrer Kollegen bis dahin erbracht hatten, herauszukristallisieren.
Dazu sollten heterosexuelle
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