Die versteckte Lust der Frauen - ein Forschungsbericht
verschwand auch ihr Interesse an Gruppensex, Exhibitionismus und Zoophilie.
Gemäà Fedoroffs Theorie könnten Fantasien von sexueller Gewalt durchaus auch bei nicht-paraphilen Frauen eine Möglichkeit sein, den verklebten Schalter zu betätigen. Durch die gefühlte emotionale Notlage machen sie einen Orgasmus erst möglich.
Für Marta Meana wurzeln Vergewaltigungsfantasien im Narzissmus, der zur weiblichen Lust gehört. Während wir darüber sprechen, verdichtet sie ihre Ãberlegungen zu einer symbolischen Szene: eine Frau, die in einem dunklen Hinterhof an die Wand gedrückt und überwältigt wird. In dieser Vorstellung steckt ein ultimatives Symbol weiblicher Lust: Der Täter ist überwältigt von seinem Verlangen für genau diese Frau, sodass er nicht an sich halten kann; er durchbricht alle Schranken, setzt sich über alle Gesetze und Konventionen hinweg, um sie zu kriegen. Und sie? Sie empfindet sich als einzigartiges Objekt seiner unaufschiebbaren Begierde und ist selbst überwältigt.
Die Wissenschaftlerin bedauerte diese Beschreibung des symbolträchtigen Hinterhofs sofort. Sie hatte den Begriff »Vergewaltigung« nicht benutzt, aber die Szene evozierte ihn.
»Ich hasse den Ausdruck âºVergewaltigungsfantasienâ¹Â«, sagte sie rasch. Er sei ein Paradoxon, betonte sie, und bedeutungslos. »In unserer Fantasie kontrollieren wir die Stimuli. Bei einer Vergewaltigung verfügen wir über keinerlei Kontrolle.« Die beiden Vorstellungen seien unvereinbar.
»In Wirklichkeit sind es Unterwerfungsfantasien«, fuhr sie fort. Sie beschrieb die Lust, die es bereitet, so sehr gewollt zu werden, dass der Aggressor willens ist, sein Gegenüber niederzukämpfen, zu nehmen. »Aber das ist âºAggressionâ¹ oder âºDominanzâ¹.« Sie suchte nach weiteren Begriffen, um das auszudrücken. »Ich muss noch eine bessere Be zeichnung dafür finden. âºUnterwerfungâ¹ trifft es auch nicht ganz.« Denn es gibt nicht wieder, was die Frauen sich am Höhepunkt der von Meana geschilderten Szene ausmalen: ihre bereitwillige Zustimmung.
Die Wissenschaftlerin wirkte ein wenig beunruhigt. Sie wusste, dass die sprachliche Differenzierung das Thema nicht entschärfte. Die Hinterhof-Fantasie behielt, egal, wie sorgsam sie es formulierte, ihre Aura von Gewalt. Und wie Bivona und Critelli schon betont hatten, bedeutet das logische Paradoxon, wenn man seinen eigenen Kontrollverlust heraufbeschwört, nicht unbedingt, dass die fantasierende Frau sich die Erfahrung von sexueller Gewalt ausmalt. Die Gewalt ist natürlich nicht real, aber die Gewalt, das Ãber wältigtwerden, wurde ausgelebt, wenn auch nur in der eigenen Vorstellung. Die Fantasien ereignen sich in einem Bereich, der einerseits unendlich fern von der Realität, ihr andererseits psychologisch aber auch nah ist. Besteht da ein Unterschied zu unseren anderen, intensiv empfundenen, aber trotzdem irrealen Wünschen? Etwa Verbrechen zu begehen und dadurch reich zu werden. Oder unseren Feinden schrecklichen Schaden zuzufügen. Wir leben diese Vorstellungen nicht aus, und in gewisser Weise wollen wir auch nicht, dass sie wahr werden. Das wollen wir überhaupt nicht; dann würden wir einen Albtraum durchleben. Trotzdem verraten unsere Fantasien natürlich etwas über unsere Wünsche.
Als Meana mit mir zum ersten Mal über die Hinterhof-Fantasie sprach, interviewte ich sie für einen Zeitschriftenartikel. Unmittelbar bevor die Story in Druck ging, telefonierten wir noch einmal miteinander. Sie bat mich, das Szenario zu ändern: Ich sollte spezifizieren, dass es kein Fremder ist, der die Frau gegen die Wand drückt, sondern jemand, den sie kennt.
Ich erinnerte mich an dieses Detail aus unseren Gesprächen nicht. Deshalb fragte ich nach, ob diese Abänderung wirklich ihre Meinung wiedergäbe. Sie zögerte. Ihre Sorge war, dass die Szene ohne diese Ergänzung zu sehr nach Vergewaltigung aussähe und man meinen könnte, sie würde so einen Ãbergriff gutheiÃen. Ich versicherte ihr, dass ich den Unterschied deutlich gemacht hatte: zwischen der Befriedigung durch die Fantasie und dem Schrecken wirklicher sexueller Gewalt. Trotzdem blieb sie besorgt. Sie glaubte, ihre gesamte Arbeit würde auf das Hinterhof-Szenario reduziert. Und die Leute würden sich nur das merken. Dieser finstere Schauplatz schien auch ihre eigenen Gedanken zu
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