Die versteckte Lust der Frauen - ein Forschungsbericht
beseitigen Schuldgefühle. Frauen schwelgen darin, um der Schande zu entgehen, die von Beginn der Pubertät an auf ihrer Sexualität liegt. Um in sehr, sehr weit zurückliegender Zeit auferlegte Zwänge abzuschütteln. Eine andere Theorie sieht in der genüsslichen Vorstellung von Vergewaltigung eine Art Tabubruch.
In einem Vergnügungspark hat Cindy Meston, Psychologieprofessorin der University of Texas in Austin, folgendes Experiment durchgeführt, das noch eine wei tere Erklärung lieferte. Hunderten heterosexuellen Fahrgästen der Achterbahn wurden Fotos von Menschen des jeweils anderen Geschlechts gezeigt. Die Probanden wurden vor und nach der Achterbahnfahrt gebeten, Punkte zu vergeben, und zwar nach »Dating-Verlockung«. Der Kick der Furcht sprang auch auf die Lust über â nach der Fahrt wurden bessere Noten verteilt. Das von Meston als »Erregungstransfer« bezeichnete Phänomen deutete auf miteinander verbundene Schaltkreise von Panik und sexueller Erregung im Gehirn hin. Und vielleicht stimmt ja, was eine Frau mir erzählte, der es vorkam, als hätten ihre Vergewaltigungsfantasien eine sofortige körperliche Wirkung. Sie würden ihr direkt in den Unterleib fahren und dort Kontraktionen eines Orgasmus auslösen.
Anatomisch erscheint es nur logisch, dass das Auslösen von Gedanken an Vergewaltigung und Furcht â oder auch Scham, weil man ein Tabu gebrochen hat â rasch Kontraktionen eines sexuellen Höhepunkts bewirkt. Diese Theorie stammt von Paul Fedoroff, einem Psychiater am Institute of Mental Health Research der University of Ottawa, der Paraphile behandelt, also Menschen, deren Sexualtrieb deutlich auÃerhalb der Norm liegt: Fetischisten, Exhibitionisten, Zoophile, sexuell motivierte Serienkiller, Pädophile. Wie so manches rund um unser noch viel zu wenig erforschtes Sexualverhalten wurde auch Fedoroffs Argumentation eher von sachkundiger Spekulation als von Beweisen gestützt, allerdings löste seine Theorie einiges an Feedback aus. Ein paar seiner Patienten, so hatte er mir erzählt, als ich für ein Buch zum Thema Paraphilie recherchierte, schienen unter etwas zu leiden, was er einen »klebrigen Schalter« nannte, der das parasympathische und das sympathische Nervensystem reguliert. Dies sind zwei unserer autonomen Schaltkreise, gewissermaÃen die Verdrahtung, die unsere unwillkürlichen Funktionen wie Puls, Schwitzen und Speichelfluss regelt. Der Parasympathikus kontrolliert die Erregung, während uns der Sympathikus auf den Höhepunkt bringt. »Der natürliche Verlauf beim Sex«, erklärt Fedoroff, »ist, dass der Parasympathikus uns in Fahrt bringt, bis wir irgendwann erregt genug sind, um den Schalter umzulegen; dann tritt der Sympathikus in Aktion, und wir beginnen, einen Orgasmus zu haben. Beim Paraphilen ist dieser Schalter verklebt und schwerfällig, sodass er irgendwas Extremes tun muss, um den Sympathikus überhaupt zu aktivieren.« AuÃer beim Orgasmus schaltet sich das sympathische System auch in Notsituationen ein. Fedoroffs Vorstellung war, benutzen, um ein Gefühl von Gefahr oder Demütigung hervorzurufen. Und zwar, weil sie dadurch einen emotionalen Notfall erzeugen und so zusätzlich Druck auf den trägen Schalter ausüben, um die Kanäle des Sympathikus zu öffnen und das Gehirn sowie den ganzen Körper in Ekstase zu versetzen.
Viele von Fedoroffs Patienten waren verurteilte Kriminelle, aber er berichtete mir von einem Fall, der alles andere als kriminell war. Ein heterosexuelles Paar hatte ihn aufgesucht. Die Frau bekam keinen Orgasmus mehr, zumindest nicht mit ihrem Partner. Daher war sie dazu übergegangen, in einer einzigen Nacht Sex mit mehreren Männern zu haben, sich Videos von Frauen anzusehen, die es mit Tieren trieben, Filme von sich selbst beim Masturbieren zu drehen â all das brachte sie zum Höhepunkt. Befriedigender Sex mit ihrem Partner schien aussichtslos, bis, wie Fedoroff es in einem Zeitungsartikel beschrieb, bekannt wurde, dass sie, um schlafen zu können, groÃe Mengen L-Tryptophan konsumierte, das es in Bioläden zu kaufen gab. Diese Substanz verstoffwechselt sich zu Serotonin, das ja bekannt dafür ist, einem den Orgasmus zu erschweren. Also lautete der Rat an sie, kein L-Tryptophan mehr zu nehmen. Bald danach kehrte ihre Fähigkeit zum Orgasmus, wenn sie mit ihrem Partner schlief, wieder zurück. Gleichzeitig
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